Die Nachhilfestunde 74: back to reality


Als Peggy am nächsten Morgen die Augen aufschlug, fand sie sich allein in dem großen Bett wieder. Ein wenig irritiert schaute sie sich um und entdeckte aber schon bald den Zettel, der neben ihr auf dem Kissen lag. Kopfschüttelnd und mit einem Lächeln auf den Lippen entzifferte sie Marks Schrift. Er war schon früh erwacht und in den Fitnessraum gegangen. Peggy fragte sich, woher er diese Kondition nahm. Sie hatte nach dem gestrigen Spa-Besuch und dieser unglaublich leidenschaftlichen Nacht jedenfalls geschlafen wie ein Stein! Behaglich streckte sie sich aus, ehe sie nach ihrem Handy griff und ein schlechtes Gewissen bekam. Sie hatte sich seit ihrer Ankunft noch nicht einmal bei ihren Eltern gemeldet. Kurzentschlossen wählte sie die Telefonnummer ihrer Mutter. Es dauerte eine Weile, bis sie abnahm, aber Natascha freute sich sehr, die Stimme ihrer Tochter zu hören und wollte natürlich sofort wissen, wie es ihnen bis jetzt ergangen war. >>Ach Mama, es ist so wunderschön hier! Einfach unbeschreiblich!<< Peggy stand aus dem Bett auf und trat an das Fenster. Die Sonne schien auch heute wieder herrlich und ließ das Wasser der Elbe glitzern. Vielleicht sollten sie später eine Schifffahrt unternehmen…?
>>Wie geht’s meiner Prinzessin?<< ->>Deine Prinzessin schläft noch. << Peggy spürte, wie sie sich augenblicklich anspannte. Es war kurz nach 9, Emelie schlief sonst nie so lange. >>Wieso? Geht’s ihr nicht gut? << - >>Doch, keine Sorge. << Nataschas Lachen ließ Peggy ein wenig ruhiger werden. >>Wir waren gestern Abend nur etwas länger auf. Ein Kinderfilm im Fernsehen, weißt du? Den durfte sie ausnahmsweise mal anschauen … << - >>Ach klar! Ich bin froh, dass ihr sie so verwöhnt. Wenn wir sie schon abgeschoben haben … << - >>Das habt ihr nicht, rede dir das nicht ein. << entgegnete ihre Mutter. >>Ihr braucht auch einfach mal Zeit für euch. Ist Mark schon wach?<< - >>Der ist schon im Fitnessraum und trainiert. << grinste Peggy. >>Frag mich nicht wieso!<< - >>Bist du glücklich, Schätzchen?<< Die sanfte Besorgnis ihrer Mutter rührte Peggy. Sie ließ sich zurück auf das Bett sinken und atmete tief durch. >>Ja, das bin ich!<< hauchte sie. >>Ich glaube, ich liebe diesen Mann wirklich von Tag zu Tag mehr!<<
Verschwitzt, aber zufrieden trat Mark aus dem Fitnessraum. Es hatte gut getan, sich auszupowern und so voller Energie in den Tag zu starten. Jetzt würde er ein ausgiebiges Frühstück genießen. Mit Peggy. Hoffentlich war sie schon wach. Auf dem Weg zu den Aufzügen kam er an der Rezeption vorbei, an der auch heute wieder die junge Frau saß, die er schon beim Check In kennengelernt hatte. Sie erkannte ihn ebenfalls sofort wieder und strahlte ihn an. >>Guten Morgen, Herr Winter! So früh schon sportlich?!<< - >>Man tut was man kann. Guten Morgen. << Er trat an den Tresen und hielt dennoch einen gewissen Abstand ein. >>Ich komme besser nicht zu nahe. << - >>Ach das macht mir nichts aus. Ich trainiere selber regelmäßig. <<- >>Ja, sieht man. << erwiderte Mark und deutete mit dem Kopf in ihre Richtung. Die Frau sah ihn unter ihren langen Wimpern hindurch an. >>Ich heiße Fiona. Sollten Sie noch irgendetwas benötigen, dürfen Sie sich jederzeit gerne an mich wenden. Ich stehe Ihnen sozusagen persönlich zur
Verfügung. << - >>Gut zu wissen, Fiona. Vielen Dank!<< - >>Ja. Herzlichen Dank!<< erklang da plötzlich eine harte Stimme und Mark wandte sich um. Peggy sah ihn mit einer Mischung aus Wut und Verletzung an und ging dann wortlos an ihm vorbei in Richtung Speisesaal. >>Ups, da ist aber eine empfindlich. << murmelte Fiona mit unüberhörbarem Spott in der Stimme. Mark beachtete sie nicht weiter, sondern beeilte sich, Peggy einzuholen. Ihm war klar, dass er ihr eine Erklärung schuldete.


>>Peggy, bleib stehen! Komm schon, das ist doch albern. Hey!<< Endlich hatte er sie eingeholt und hielt sie am Arm fest, doch Peggy schüttelte seine Hand ab. >>Lass mich.<< - >>Was ist denn los?<< - >>Das fragst du noch?<< Peggy sah ihn aufgebracht an. >>Ich dachte, du trainierst und wollte dir eigentlich Gesellschaft leisten. Stattdessen muss ich mit ansehen, wie du diese Trulla da anbaggerst!<< - >>Ich hab mich mit ihr unterhalten, mehr nicht. << - >>Und dass sie scharf auf dich ist, ist dir ja völlig entgangen, oder?<< Mark wandte den Blick ab. Nein, das war es ihm natürlich nicht. Natürlich hatte er schon bei der Ankunft bemerkt, dass Fiona ihn mehr als nur professionell behandelt hatte. Aber eigentlich hatte er sich nur einen Spaß daraus machen wollen, mit ihr ein wenig zu kokettieren. Nur leider war das gehörig nach hinten los gegangen. Trotzdem fand er, dass Peggy ein wenig überzogen reagierte. >>Okay, das war blöd von mir. Vergiss es einfach. << lenkte er ein und kam ihr näher, aber Peggy wich zurück und kämpfte mit den Tränen. Sie wusste selber nicht, wieso sie so überemotional war, aber etwas dagegen tun konnte sie auch nicht. Vielleicht lag es tatsächlich daran, dass ihre Gefühle für Mark so unendlich waren und jede andere Frau in seiner Nähe von vornherein ein rotes Tuch war! Es war kindisch, es war albern, aber es war so.
>>Man, ich hab einfach schiss, dich zu verlieren. << flüsterte sie mit zitternder Stimme. Mark trat erneut einen Schritt auf sie zu und dieses Mal ließ sie es geschehen. Vorsichtig zog er sie in seine Arme und bettete ihren Kopf an seine Schulter. So standen sie eine Weile da, mitten im Gang zum Frühstücksraum. Viele Leute gingen an ihnen vorbei, einige warfen ihnen fragende, andere pikierte Blicke zu, doch das war beiden herzlich egal.
>>Entschuldige. << sagte Mark nach einer Weile. >>Ich wollte dir nicht weh tun. <<
Peggy antwortete nicht, schniefte nur und drückte sich fester an ihn. Für Mark ein Zeichen, dass es okay war.  >>Du wirst mich nicht verlieren. << murmelte er, die Lippen dicht an ihrem Haar. >>Wir werden heiraten, Baby!<< Er spürte ihr Lächeln und atmete tief durch, ehe Peggy sich ein Stück von ihm löste und ihn ansah. Die Tränenspuren auf ihren Wangen und das Glänzen ihrer Augen gaben Mark einen Stich ins Herz! Wieso hatte er auch unbedingt mit dieser Rezeptionistin flirten müssen?!
>>Frühstück?<< schlug er vorsichtig vor, doch Peggy schüttelte den Kopf. >>Du stinkst! Du musst unter die Dusche. << Mark fiel die Kinnlade herunter, gleichzeitig war er erleichtert. Wenn sie anfing frech zu werden und Späße auf seine Kosten zu machen, dann war wohl tatsächlich alles wieder gut. Er nahm ihre Hand und gemeinsam machten sie sich auf den Weg zurück ins Zimmer. Fiona, die nach wie vor an der Rezeption stand, würdigten sie keines Blickes.

 

Am Abend stand der lang ersehnte Musicalbesuch an! Peggy hatte für diesen Anlass extra noch ihr schönstes Abendkleid in den Koffer geschmuggelt, ohne dass Mark es bemerkt hatte. Seine Überraschung und Anerkennung waren dafür nun umso größer und Peggy aalte sich in seinen Blicken! Nach dem dummen Zwischenfall heute Morgen tat das besonders gut.
Die Show war hervorragend. Mitreißend, bunt, schrill. Typisch Musical eben! Peggy hatte diese Art der Bühnenkunst schon immer geliebt. In einem anderen Leben wäre sie vielleicht Musicaldarstellerin geworden, dieser Gedanke war ihr schon oft gekommen. Nach der Vorstellung standen Peggy und Mark im Foyer des Theaters und tranken ihren letzten Sekt. Peggy genoss den Abend in vollen Zügen, sie fühlte sich leicht und dank des Sektes auch ein wenig beschwippst, was sie aber nicht weiter störte, im Gegenteil. Es machte alles noch lustiger.
>>Hat’s dir genauso gut gefallen, wie mir?<< wollte sie von Mark wissen, er nickte. >>Es war fantastisch. Schade, dass es schon vorbei
ist. <<- >>Ja, das ist wahr! Vielleicht können wir ja nochmal herkommen. Irgendwann. << - >>Sicher. << lächelte Mark und nahm wahr, wie sie ein wenig schwankend auf ihren High Heels stand. Sie vertrug wirklich keinen Alkohol. Er nahm sich vor, heute Abend ein bisschen besser auf sie aufzupassen. Schließlich musste es ja nicht immer in einem Vollrausch enden. In diesem Moment trat ein junger Mann auf die beiden zu. Er mochte Mitte zwanzig sein, war hoch gewachsen und leicht braun gebrannt und trug einen modischen Anzug. Er legte Peggy mit einer knappen Geste die Hand auf die Schulter. >>Sorry, dass ich dich einfach so anquatsche, aber … du bist mir sofort aufgefallen! Wunderschön! <<
Mark verschluckte sich beinah an seinem Getränk und sah den Kerl ungläubig an. Er musste sich wohl verhört haben! Peggy hingegen schien ihn ganz genau verstanden zu haben und lächelte dankbar. >>Oh das ist nett. Vielen Dank! << - >>Kommst du aus Hamburg?<< - >>Nein, ich bin im Urlaub hier. Also eigentlich ist das nur ein Wochenendausflug. << - >>Verstehe. Darf ich dir noch einen Drink holen? Ich heiße
Leano. << - >>Und ich heiße Peggy und nehme sehr gern noch ein Glas. <<
Sie drückte Leano ihr Getränk in die Hand und dieser war schon im Gedränge der anderen Gäste in Richtung Bar verschwunden. Mark hatte die Szene fassungslos mit angesehen.
Es war alles wie im Zeitraffer geschehen und er war so perplex, dass er nicht einschreiten konnte. >>Stimmt was nicht?<< fragte Peggy besorgt und sah ihn mit glasigen Augen an. Mark wusste, dass sie das nicht einmal mit Absicht gemacht hatte, aber sie hatte ihm gerade eine Vorstellung davon gegeben, wie sie sich heute Morgen gefühlt haben musste. Peggy zu sehen, wie sie von einem gut aussehenden Typen unmissverständlich angegraben wurde, das war schrecklich. >>Lass uns gehen, ja?<< bat er sie und Peggy schien Leano schon wieder vergessen zu haben, so anstandslos folgte sie Mark hinaus in die kühle Abendluft.
>>Jetzt weiß ich, was du meinst. << sagte er, als sie ein Stück gegangen waren. Peggy wickelte ihre Jacke enger um die Schultern, denn der Wind wehte wirklich recht kühl und da sie direkt am Hafenbecken standen, gab es auch nur wenig Schutz. >>Wie, was meine ich womit?<< fragte sie verwirrt und musste sich Mühe geben, ihre Sprache zu ordnen. Mist, doch zu viel Sekt… >>Als du heute früh sagtest, dass du schiss hast, mich zu verlieren. Das konnte ich nicht nachvollziehen. Aber mir geht es genauso. << Mark drehte sich zu ihr um und sah sie eindringlich an. >>Ich habe auch Schiss, dich zu verlieren! Du könntest so viele haben, Peggy! Jeden, den du willst! Und du bist ausgerechnet mit mir zusammen. << - >Hörst du mal auf mit dem Quatsch?<< Peggy schüttelte halb belustigt, halb verwirrt den Kopf. >>Ich könnte jeden haben! Was redest du da? Ich will nicht jeden, ich will dich! <<
Sie trat näher an ihn heran und legte ihre Arme um seinen Hals. >>Weißt du nicht, wie sehr ich dich liebe, verdammt?! Ich werde deine Frau!<<
Mark schaute in ihre aufrichtigen blauen Augen, die ihn so unendlich tief anschauten!
Er würde für den Rest seines Lebens in diese Augen verliebt sein! In diese Lippen, dieses Gesicht, in dieses Mädchen! >>Ich liebe dich auch!<< flüsterte er dicht an ihrem Mund, doch ehe sie sich küssen konnten, zerplatzte von irgendwo her eine Rakete am Himmel. Und dann noch eine, und noch eine. Ein Feuerwerk war losgebrochen, von wo auch immer es herkam: Mark und Peggy konnten es genau erkennen. Sie blickten gen Himmel in den bunten Farbenregen. >>Oh Gott, ist das kitschig!<< sagte Peggy und wusste, dass Mark die Ironie sofort erkannt hatte, er nickte. >>Ja. Furchtbar!<< Lachend schauten sie einander an, schauten auf die Lippen des anderen und zurück in die Augen. Und erneut gab ihr der Kuss das himmlische Gefühl fliegen zu können!

 

Das Wochenende war wie im Flug und viel zu schnell vergangen! Ehe sie sich versahen, hatte der Alltag Mark und Peggy wieder fest im Griff. Hinzu kam Emelie, die momentan die schlimmste Trotzphase zum Besten gab und ihre Eltern manchmal wirklich um den Verstand bringen konnte. Einmal mehr war Peggy dankbar, inzwischen einen Kitaplatz erwischt zu haben. So konnte sie wenigstens ein paar Stunden durchschnaufen und sich auf die nächste Schreiattacke ihrer Tochter vorbereiten.
An diesem Tag saß sie auf dem kleinen Balkon der Wohnung und versuchte ihre Uniunterlagen zu ordnen, die sie in letzter Zeit ziemlich schleifen gelassen hatte, was sich nun rächte. Überall lagen Zettel, Präsentationen und Notizen verstreut und Peggy war der Resignation nahe! Wenn sie diesen Wust an Papier betrachtete, kamen ihr fast die Tränen vor Verzweiflung! Dem würde sie doch niemals Herr werden! Sie ließ ihren Blick in die Ferne schweifen. Wie gerne wäre sie jetzt nochmal in Hamburg. In diesem tollen Hotel, oder dem schönen Restaurant. Egal, Hauptsache Mark wäre an ihrer Seite. Sie schaute auf die Uhr, es war später Vormittag. Mark stand jetzt sicher in irgendeinem stickigen Klassenzimmer und musste sich mit Teenagern rumplagen, die alles andere im Sinn hatten, außer Mathematik. Aber Mark liebte ja Herausforderungen…
>>Ich geh einkaufen, braucht ihr was?<< ließ sie plötzlich eine Stimme zusammenzucken. Sascha! >>Man, musst du dich so anschleichen?<< fuhr Peggy ihn an, sie war so ein Gedanken gewesen, dass sie ihn überhaupt nicht bemerkt hatte. Sascha hob entschuldigend die Hände. >>Sorry. << Er ließ seinen Blick über Peggys Zettelwirtschaft schweifen und runzelte die Stirn. >>Was wird das hier, wenn es fertig ist?<< - >>Wonach sieht’s denn aus? Nach einer Spaßveranstaltung?<< Erneut bemerkte er Peggys unwirschen Tonfall, trat aber dennoch ein wenig näher an sie heran. >>Schlechte Laune?<< Peggy ließ abermals ihren Collegeblock sinken und verdrehte die Augen. >>Nee. Einfach nur ein bisschen gereizt, mehr nicht. << - >>Kann ich dir helfen?<< - >>Kennst du dich zufällig mit psychischer Analytik aus?<< - >>Zufällig nicht. << - >>Ja, dann kannst du mir wohl nicht
helfen. << murmelte Peggy und wandte sich wieder ihren Aufgaben zu. Sascha beobachtete sie. So abweisend kannte er sie gar nicht und er fragte sich, ob das wirklich nur am Lernstress lag, oder doch noch mehr dahinter steckte. Aber jetzt war wohl der falsche Zeitpunkt, um nachzubohren. >>Ich bin dann mal weg. << lenkte er ein. >>Soll ich dir was zu essen mitbringen? Beruhigt die Nerven. << - >>Danke, mir ist schon schlecht. << erwiderte Peggy knapp. Es stimmte. In ihrem Magen schien eine Achterbahnfahrt stattzufinden! Aber das war auch kein Wunder bei diesem Chaos.
>>Übelkeit und schlechte Laune … interessant. << fasste Sascha zusammen und holte tief Luft. >>Sehr interessant. << - >>Was willst du mir jetzt damit sagen?<< fragte Peggy so beherrscht wie möglich. Irgendwie machte sie seine Anwesenheit gerade rasend! Sah er denn nicht, wieviel sie hier zutun hatte?  >>Nichts. Gar nichts. << Sascha grinste und wandte sich zum Gehen, drehte sich dann aber doch noch einmal zu ihr um. >>Und wenn ich dir einen Schwangerschaftstest mitbringen soll, dann melde dich einfach. << Peggy erstarrte augenblicklich und ihre Übelkeit nahm zu! Sie blickte ihn an, als hätte er den Verstand verloren. >>Geht’s noch?! Was soll der Schwachsinn?<< Doch Sascha schwieg und trat lieber schnell die Flucht an, wohl wissend, dass er ihr sicherlich Stoff zum Nachdenken zurückgelassen hatte. Peggy saß da und versuchte, sich wieder auf ihre Texte zu konzentrieren, doch das war unmöglich. Sascha hatte es geschafft, dass sie nun endgültig keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Sie griff nach ihrem Handy und begann eine Nachricht zu tippen.

Zur gleichen Zeit saß Mark in der Schulmensa und musste feststellen, dass das Essen leider keinen Deut besser war, als er es von damals in Erinnerung hatte. Unweigerlich dachte er an das Dinner in Hamburg zurück. Es war vorzüglich gewesen! Was würde er dafür geben, jetzt dort sein zu können…
>>Schmeckt’s dir nicht?<< fragte Nadja Jahnke, die ihm gegenüber saß und seinen Teller begutachtete. >>Ich kann’s verstehen. Ich esse auch hier auch nur, weil der Hunger es reintreibt. << - >>Ich hatte gehofft, seit damals hätte sich hier was getan. << gestand Mark, doch Nadja schüttelte den Kopf. >>Leider nicht. Aber wir könnten ja nach Unterrichtsschluss in die Stadt gehen und was essen. << Mark blickte sie an. Der Gedanke war verlockend, doch er wusste, dass er das besser nicht über Peggys Kopf hinweg entscheiden sollte. Sie war ziemlich angespannt in der letzten Zeit und ging wegen jeder Kleinigkeit an die Decke. Und jetzt, wo Emelie nicht gerade pflegeleicht war, würde er bei ihr sicher auf wenig Gegenliebe stoßen, wenn er einfach so den eh schon eng getakteten Tageszeitplan umkrempelte.
>>Mal sehen. << murmelte er vage. >>Ich checke besser erst die Lage Zuhause. << - >>Stress?<< riet Nadja und wurde aufmerksam. Mark hatte schon bemerkt, dass sie beinahe täglich versuchte, private Dinge von ihm und Peggy zu erfahren und er musste aufpassen, nicht allzu viel aus dem Nähkästchen zu plaudern. 
>>Nicht der Rede wert. Peggy ist derzeit ein wenig … empfindlich, sagen wir es so. << - >>Oh, da muss Mann sicher aber in Acht nehmen. << Nadja lächelte einfühlsam, während sie ihren Teller beiseite schob. Das Essen war wirklich keine Meisterleistung. Sie griff nach ihrer Aktentasche und durchsuchte diese akribisch. Irgendwo hatte sie doch noch einen Schokoriegel gehabt.
>>Vielleicht ist sie schwanger. << rutschte es ihr da heraus und sie biss sich auf die Lippe. Das wollte sie eigentlich nur gedacht, nicht laut gesagt haben. Vorsichtig wagte sie einen Blick zu Mark, der sie zuerst erschrocken, dann kopfschüttelnd ansah. >>Das kann nicht sein. << - >>Das kann nicht sein? Das glaube ich dir nicht. << grinste Nadja in zweideutiger Absicht und langte endlich nach dem Schokoriegel. Damit würde zu mindest der kleine Hunger gestillt werden.
Sie riss die Folie auf, teilte den Riegel in zwei Hälften und hielt Mark eine davon hin, doch er lehnte ab. Irgendwie war ihm ihr Satz gerade ziemlich auf den Magen geschlagen. In diesem Moment piepste sein Handy. Eine Nachricht von Peggy, wie auf’s Stichwort.

*Treffen wir uns nachher in der Stadt? Hole gleich unseren Schreihals ab*

*sehr gern! Muss noch bis 15 Uhr. Ich denke an dich.*

*und ich an dich!*

>>Entschuldige, ich wollte dich nicht vor den Kopf stoßen. << mischte sich Nadjas Stimme in seine Gedanken an Peggy. Doch Mark winkte ab. >>Schon gut. << Das flaue Gefühl im Magen war schon wieder verschwunden und so schnappte er sich doch noch schnell das Stück Schokolade, das vor ihm auf dem Tisch lag.

 

Auch heute war es für Peggy wieder ein kleiner Kampf, Emelie dazu zu bewegen, vom Kindergarten mit ihr mitzukommen. Es war immer das Gleiche: Morgens wollte sie nicht hin und nachmittags nicht wieder zurück. Und jedesmal musste diskutiert werden.
>>Wirklich ein ganz schöner Wirbelwind momentan. << lächelte Steffi, eine der jungen Erzieherinnen, als Peggy es endlich geschafft hatte, Emelie Jacke und Schuhe anzuziehen. Peggy seufzte. >>Wem sagst du das?! Ich frage mich wo sie diesen Dickschädel her
hat. << - >>Im Zweifelsfall immer vom
Vater. << lachte Steffi und Peggy tat es ihr gleich. Sie mochte Steffi unheimlich gerne und hatte keine Sekunde das Gefühl, dass es Emelie hier an etwas Mangeln könnte. Und so vehement, wie die Kleine sich weigerte, nach Hause zu gehen fühlte sie sich anscheinend auch mehr als wohl.
>>Ich hoffe nur, dass sich das bald
bessert. << sagte Peggy, Steffi sah sie mitfühlend an. >>Ganz sicher. Wenn Emelie erst einmal große Schwester ist, wird sie aufhören, immer ihren Willen durchsetzen zu müssen. << Peggy schluckte. Dieses Thema schien sie heute zu verfolgen. Erst Saschas Anspielung, jetzt Steffi. >>Eigentlich wollen wir kein zweites Kind. << erklärte sie knapp und beschloss, sich nicht weiter zu rechtfertigen. Sie hob Emelie auf ihren Arm und hatte Mühe sie festzuhalten, so sehr zappelte sie. >>Sag tschüss. << - >>Tschüss. << quiekte Emelie lauthals und winkte der Erzieherin zu. Steffi winkte zurück.
Wie verabredet trafen Mark und Peggy wenig später in der Stadt aufeinander. Peggy sah ihn schon von weitem auf einer Bank sitzen und blieb einen Moment stehen, um ihn einfach zu beobachten. Er sah müde aus, wie immer nach einem langen Schultag, und auch ein wenig nachdenklich. Vorallem aber unglaublich attraktiv! Peggy genoss seinen Anblick und das Bewusstsein, zu ihm zu gehören. Lächelnd trat sie weiter auf ihn zu und Emelie begrüßte ihn aus ihrem Buggy heraus als erstes. >>Papa!<< Mark erhob sich und gab erst seiner Tochter, dann Peggy einen sanften Kuss auf die Wange.  >>Wie geht’s dir?<< - >>Geht so. << Peggy hob die Schultern. >>War ein bisschen viel heute, irgendwie. << Mark nickte und sah ihr ihre Anspannung förmlich an. Sie sah genau so aus, wie er sich fühlte. >>Möchtest du was essen gehen?<< fragte er, doch Peggy schüttelte den Kopf. >>Lieber einen Kaffee trinken. << - >>Auch gut. << Er küsste sie erneut, dann nahm er ihre Hand und steuerte das nächstgelegene Café an.
Am Abend lagen Mark und Peggy erschöpft auf der Couch und ließen sich von einem drittklassigen Krimi berieseln. Beide waren froh, dass der Tag sein Ende gefunden hatte und auch, dass Emelie sich für ihre Verhältnisse relativ problemlos hatte ins Bett bringen lassen. Wahrscheinlich war auch sie müde von den vielen Eindrücken des heutigen Tages.
Mark warf Peggy einen Blick zu. Sie schaute gerade aus auf den Bildschirm, doch er bemerkte, dass sie sich nicht wirklich auf den Film konzentrierte. Irgendwie schien sie mit den Gedanken ganz woanders zu sein. Sanft berührte er ihren Arm. >>Ist alles okay?<< - >>Ja, sicher . << lächelte Peggy und schaute ihn an. Wieso nur hatte er das Gefühl, dass sie ihm nicht ganz die Wahrheit sagte? Aber was sollte der Grund sein? Wahrscheinlich bildete er sich das alles nur ein, oder es war der Tatsache geschuldet, dass sie beide einfach fertig mit den Nerven waren.
>>Ich bin schon wieder urlaubsreif. << sagte Mark, die Hände vor dem Gesicht.  >>Ich hatte ganz vergessen, wie anstrengend so eine Klasse sein kann. << Peggy lachte. >>Das ist die Jugend von heute. Dagegen waren wir brave Lämmer. << - >>Du warst nie brav! Du hast mich auch ganz schön geärgert. << Empört schaute Peggy ihn an. Das musste wohl ein Scherz sein! Sie konnte sich nicht erinnern, als Schülerin jemals besonders aufmüpfig gewesen zu sein. >>Stimmt ja gar nicht. << - >>Doch! Du hast mich wahnsinnig gemacht mit deiner Klugheit und deinem Aussehen und deinen Flirtversuchen. << - >>Ich hab dich nie angeflirtet. Du warst mein Lehrer, das hätte ich mich gar nicht
getraut. << Sie grinsten sich an, beide wussten, dass es anders war. Beide hatten sich während Peggys Schulzeit immer kleine Späße daraus gemacht, den jeweils anderen ganz subtil zu umgarnen, was einerseits brandgefährlich, andererseits aber einfach herrlich aufregend gewesen war!
>>War ne coole Zeit. << stellte Mark fest und zog Peggy auf seinen Schoß, was sie sich wohlwollend gefallen ließ. Sie schmiegte sich an ihn und seufzte. >>Ja, war es. Aber auch echt anstrengend. << - >>Na wie gut, dass wir es jetzt so entspannt haben. << bemerkte Mark ironisch und Peggy musste lachen. Ihr Lippen fanden zueinander und Peggy wurde heiß. Wie sehr sie seine Küsse liebte! Vorsichtig ließ sie sich auf das Sofa zurück sinken und genoss die Art, wie Mark seine Hände über ihren Körper gleiten ließ. Suchend tastete sie nach der Fernbedienung und stellte den Ton aus. Wen interessierte dieser öde Krimi eigentlich?! Sie spürte Marks Becken sich gegen ihres drücken, als ihr Bilder und Gesprächsfetzen des heutigen Tages erneut in den Sinn kamen. Den ganzen Nachmittag hatte sie das schon nicht loswerden können. Was, wenn an Saschas Anspielung etwas dran war? Was, wenn Steffi Emelie nicht ohne Grund als große Schwester gesehen hatte? Was, wenn ihre blanken Nerven und Emotionen auf etwas ganz anderem, als Stress und Alltag begründet lägen? Sofort war jede Leidenschaft verschwunden, sie erstarrte förmlich zu Eis.
Mark bemerkte ihre Reaktion und ließ von ihr ab. Prüfend schaute er sie an, wie sie beinahe panisch da lag und schon wieder nachzugrübeln schien.
>>Was hast du?<< wollte er wissen und bekam ein ungutes Gefühl. Peggy erwiderte seinen Blick. Ihre Gedanken schweiften abermals zurück nach Hamburg, zu diesem wunderbaren Wochenende, an dem sie sich so oft so nah waren und sich so sehr geliebt hatten! Sie hatte einfach nicht daran gedacht. Verdammt …
>>Was ist los?<< bohrte Mark weiter, sie biss sich auf die Lippe. Wieso fielen ihr die Worte nur so schwer? >>Ich hab die Pille
vergessen. << flüsterte sie kaum hörbar und ihr Herz pochte wie wild.  Mark sah sie irritiert an. Das war alles? >>Okay. Dann verschieben wir’s eben auf morgen … << - >>Ich meine nicht heute. Ich meine neulich. In Hamburg. Ich hab’s total vergessen. <<
Erneut spürte Mark dieses flaue Gefühl in sich aufsteigen, als er ihr zuhörte und sich nun langsam von ihr löste. Auch Peggy setzte sich ein wenig aufrechter hin und glaubte noch immer, ihr Herz würde jeden Moment zerspringen. Dabei war sie sich nicht einmal sicher, ob Mark verstanden hatte, was sie damit sagen wollte.
>>Du hast vergessen, die Pille zu nehmen?<< harkte Mark mit leiser Stimme nach und Peggy senkte den Blick. >>Ich hatte sie gar nicht eingepackt. << Sein Schweigen machte sie ganz schwindlig! Irgendeine Reaktion musste doch von ihm kommen. Sie konnte nur hoffen, dass er keinen Wutanfall bekommen würde. Aber diese Stille war fast noch schlimmer.
>>Das ist nicht dein Ernst. << kam es nach einer gefühlten Ewigkeit von ihm. >>Hör auf mich zu verarschen, Peggy. Das ist nicht witzig. << Peggy schüttelte hilflos den Kopf. Sie wünschte, es wäre so. Sie wünschte, sie könnte einfach rufen: reingefallen!, sich auf ihn werfen, ihn küssen, ihn lieben. Aber leider ging das nicht. Leider war sie gerade in diesem verdammt unangenehmen Moment gefangen.
Noch immer lag dieses schwere und schwer zu ertragende Schweigen in der Luft. Mark saß da und die Gedanken flogen in seinem Kopf umher. Er wusste, dass Peggy irgendetwas von ihm erwartete. Eine Antwort, ein Gefühl, eine Reaktion, aber im Augenblick fühlte er sich fast wie gelähmt.
>>Es tut mir leid. << hörte er sie irgendwann sagen und schaute sie an. Er war sich nicht sicher, ob er ihr Vorwürfe machen wollte, ob er dazu überhaupt das Recht hatte. Irgendwie hatten sie es doch beide verdamelt, oder? >>Du bist doch sonst so zuverlässig. << erwiderte er so sachlich wie es ihm möglich war, und Peggy zuckte die Schultern. >>Ich weiß auch nicht … es war so viel los und ich wollte alles perfekt für dich planen, für uns planen. << - >>Dann frag ich mich, wie du sowas wichtiges vergessen kannst!<<
Peggy schluckte, ihr fiel keine Erwiderung ein. Vorsichtig rutschte sie ein Stück näher an ihn heran und legte ihre kalten Finger um seine. Sie war unendlich erleichtert, dass er es geschehen ließ! >>Ich weiß doch auch noch gar nicht, ob … also ob da was passiert ist. << Mark verkniff sich eine spöttische Bemerkung, um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Aber diese Aussage war gerade nur ein schwacher Trost. >>Dann sollten wir das schleunigst überprüfen! << - >>Gleich morgen, versprochen!<< hauchte Peggy und gab ihm einen zarten Kuss auf die Wange. >>Bitte sei nicht sauer auf mich. << Er sah sie an, wie sie so kleinlaut und verletzlich da saß und ihn mit ihren großen Augen anflehte, ihr nicht allzu offensichtlich die Schuld zuzuschieben. Seufzend schüttelte er den Kopf und strich ihr flüchtig über die Haare. >>Oh man … wieso kann es bei uns nicht einmal unkompliziert zugehen?<<