Die Nachhilfestunde 88: alte Freunde

 

Sascha ließ sich seufzend nach hinten in die Sofakissen fallen und fuhr sich durch das Gesicht. Schon seit Stunden grübelten er und Annika darüber nach, was sie Peggy und Mark zur Hochzeit schenken könnten, doch der große Geistesblitz war ihnen bislang verwehrt geblieben. Und langsam wurde es wirklich anstrengend! Annika kaute auf ihrer Lippe und dachte nach. Es war gar nicht so leicht, sich etwas Originelles zu überlegen. Sie warf Sascha einen Blick zu, der mit geschlossenen Augen dasaß und die Welt gerade an sich vorbeiziehen zu lassen schien. Sie grinste und trat ihm sanft gegen das Schienbein. >>Ey, nicht wegpennen! Wir haben immernoch keine Idee!<< -
>>Ich weiß. << erwiderte er etwas gequält. >>Aber ich glaube, die kommt heute auch nicht mehr. << - >>Aufgeben gilt nicht! Also, worüber würden sich die beiden so richtig doll freuen?<< - >>Müssen wir das wirklich schon jetzt besprechen? Bis zur Hochzeit ist es noch ewig hin. << Sascha öffnete die Augen und sah seine Freundin müde an. Doch beim Anblick ihres nachdenklichen Gesichtes und der tiefen Denkfalte auf der Stirn musste er schon wieder lächeln. Sie war echt süß!
>>Ja, aber es gibt auch noch einige andere Dinge, um die wir uns kümmern
sollten. << sagte Annika. >>Den Junggesellenabschied zum Beispiel. Du bist Marks Trauzeuge und somit fällt der ganz eindeutig dein Ressort!<< - >>Ja, das   stimmt. Oh man, dafür muss ich mir echt was gutes einfallen lassen. <<
Er richtete sich ein Stück auf. >>Hat Peggy dich eigentlich auch schon gefragt?<< Annika senkte den Blick und versuchte, sich ihre Emotionen nicht anmerken zu lassen. Nein, Peggy hatte noch überhaupt keine Anspielung darüber getätigt, ob sie sie tatsächlich als Trauzeugin haben wollte. Und je mehr Zeit verstrich, umso unsicherer wurde sie. >>Bisher nicht. << gestand sie. >>Wer weiß, vielleicht wird’s auch eine andere. << - >>Kann ich mir nicht vorstellen. << Sascha rückte näher an sie heran und küsste sie sanft auf die Wange. >>Ihr seid wie Pech und Schwefel. Wieviel ihr schon zusammen durchgemacht habt! Da fällt mir ein, wie war denn eure Anhörung bei der Polizei gestern?<< - >>Nicht so schlimm, wie befürchtet. << lächelte Annika. >>Natürlich war es nicht gerade angenehm, aber ganz schnell vorbei. Und Timo war nicht da. << Sascha nickte und atmete beruhigt auf. Das war wirklich ein Glück! Nun würde ihn hoffentlich eine gerechte Strafe erwarten!
>>Hast du Lust zu kochen?<< versuchte Sascha die Stimmung wieder ein wenig aufzuheitern und stand auf. >>Also ich hätte Appetit auf Pasta!<< - >>Ich muss morgen früh arbeiten. << erwiderte Annika und sah auf die Uhr. Es war bereits Abend und sie war eigentlich schon reif fürs Bett. Sascha blickte ein wenig enttäuscht auf sie herab, dann beugte er sich zu ihr und gab ihr abermals einen sanften Kuss.
>>Okay, dann müssen wir das Dessert aber vorziehen. << Annika spürte, wie ihr Bauch zu kribbeln begann und erwiderte seinen Kuss.  Zu Desserts hatte sie schon immer schlecht Nein sagen können!
Da klopfte es plötzlich an der Wohnungstür und sie fuhren ein wenig erschrocken auseinander. >>Wir machen einfach nicht auf. << flüsterte Sascha und legte einen Finger an die Lippen, doch das Klopfen wurde energischer und er verdrehte die Augen. Wer auch immer das war, kam zum völlig falschen Zeitpunkt. Er öffnete die Tür. Peggy stand ihm gegenüber und blickte ihn an, in den Augen ein aufgeregtes Funkeln. Sie schob sich in die Wohnung, noch ehe Sascha sie davon abhalten konnte.
>>Ist Annika bei dir?<< - >>Klar, komm doch rein. << antwortete er ironisch und schlug die Tür wieder zu. Peggy sah ihn entschuldigend an. >>Sorry, aber es ist wichtig. Hab ich euch gestört?<<
Sie registrierte das halb offene Hemd und die dezent zerzausten Haare. Sascha reagierte nicht, sondern führte sie schweigend ins Wohnzimmer, in dem Annika gerade noch genug Zeit gehabt hatte, um sich und ihre Frisur wieder einigermaßen herzurichten. Dennoch entgingen Peggy die geröteten Wangen ihrer Freundin keineswegs. Noch mehr eindeutige Zeichen dafür, dass sie wirklich unpassend kam.
>>Oh, zum Glück bist du da. Ich hab schon versucht, dich anzurufen. << - >>Handy ist aus. << erklärte Annika, während Peggy sich neben sie setzte. Sie musterte sie rasch. >>Schickes Outfit! Hast du noch was vor?<< - >>Nee, heute war doch mein erster Tag im
Praktikum. << - >>Cool, wie war’s?<< - >>Super spannend, aber ich muss dich dringend was fragen. << versuchte Peggy das Gespräch wieder in die richtige Richtung zu bringen. >>Und dann bin ich auch gleich wieder weg. << - >>Gute Idee. << murmelte Sascha leise und fing sich prompt einen warnenden Blick von Annika ein. Wenn Peggy sie so unbedingt sprechen wollte, musste es sich um etwas sehr Wichtiges handeln und sie war gespannt zu erfahren, worum es ging. Peggy holte tief Luft, als müsse sie sich selber etwas beruhigen.
>>Wie du weißt stecken wir mitten in den Hochzeitsplanungen. << begann sie. >>Und ich hab schon so viele Dinge auf dem Schirm, die ich unbedingt organisieren will und so vieles, was geklärt werden muss. Und dabei hab ich eine Sache komplett vergessen. <<
Annika nickte langsam, war jedoch kein bisschen schlauer geworden. Peggy lächelte und setzte sich noch ein wenig aufrechter hin. >>Zu den wichtigsten Dingen die ich brauche zählt eine Trauzeugin. Und ich wollte dich fragen, ob du das werden möchtest. <<
Sascha schnappte ein wenig überrascht nach Luft und wollte schon in Jubel ausbrechen, doch er nahm sich zusammen. Zuerst war Annikas Reaktion abzuwarten, die jedoch merkwürdig still dasaß und aufgeregt blinzelte. Ihr Schweigen kam ihm vor wie unendliche Stunden und auch Peggys Anspannung schien mit jeder Sekunde zu wachsen.
>>Ja! Natürlich!<< brach es irgendwann aus Annika heraus und sie fiel Peggy freudestrahlend um den Hals! Peggy drückte sie an sich. Sie hatte schon beinah eine Absage befürchtet und sah Sascha nun erleichtert an, der lächelnd den Daumen in die Höhe streckte. >>Danke Peggy! Ich freu' mich total. << sagte Annika und strich sich eine kleine Träne aus dem Auge. >>Ich freu' mich auch! << Peggy sah sie glücklich an. >>Ich kann mir keine bessere als dich vorstellen. <<
Noch immer glücklich lächelnd kehrte sie wenig später wieder in ihre Wohnung zurück. Eigentlich hätte sie gerne noch mit Annika angestoßen und den Moment ein bisschen gefeiert, aber sie hatte gemerkt, dass es besser war, sich rasch wieder zu verabschieden. Sascha hatte offenbar nicht mit ihrer späten Aufwartung gerechnet und war nicht böse darum, dass sie sich bald wieder verabschiedet hatte. Und das konnte sie ihm nicht mal übelnehmen. Wenn sie und Mark in ihrer Zweisamkeit gestört wurden, war sie auch nicht gerade begeistert. Müde, aber zufrieden schlüpfte sie aus ihren Schuhen und spürte erst jetzt, wie weh ihre Füße taten. Den ganzen Tag auf den hohen Hacken war wahrlich kein Vergnügen. Vielleicht sollte sie doch lieber auf flache Absätze umsteigen, aber heute wollte sie eben einen besonders guten Eindruck machen. Und so nett und freundlich wie ihr Frau Timmermann entgegengetreten war, hatte sie dieses Ziel wohl auch erreichen können.
Peggy warf sich bäuchlings auf ihr Bett, umschloss das Kissen mit ihren Armen und hatte Mühe, die Augen offen zu halten. Die vielen neuen Eindrücke des heutigen Tages hatten sie erschöpft, wenngleich sie auch sehr interessant gewesen waren. Erst in der Schule und später auf dem Hausbesuch…Peggy dachte an den kleinen und furchtbar verschüchterten Jungen zurück, dem sie begegnet waren. Seine großen traurigen Augen hatten sie noch lange verfolgt und sie hatte sich an die Worte von Frau Dr. Graf erinnert, die sie damals schon davor gewarnt hatte, Kinderpsychologie als allzu leichtes Gebiet zu sehen. Da schien viel wahres dran zu sein!
Ein fester Klaps auf ihrem Po ließ sie zusammenzucken und aus ihrem Grübeln hinausfinden. Mark hatte sich zu ihr geschlichen, ohne dass sie es bemerkt hatte und erfreute sich nun sichtlich an seinem kleinen Überfall. Peggy sah ihn halb belustigt, halb verärgert an, war jedoch viel zu faul, um sich großartig zu echauffieren.
>>Und, hat sie sich gefreut?<< wollte Mark wissen, während er sich neben sie fallen ließ. >>Und wie! Ich glaube, sie hat schon darauf gewartet, dass ich sie endlich frage. << Peggy drehte sich auf die Seite und stützte den Kopf in die Hand. Noch einmal sah sie Annikas überraschtes und freudiges Lächeln vor sich. >>Die beiden werden das beste Trauzeugenteam der Welt sein!<< - >>Ja, da könntest du recht haben. << bestätigte Mark, während seine Augen auf ihrem Körper wanderten. Ihr Rock war ein wenig nach oben gerutscht und gab den Blick auf ihre Beine frei. Schade, dass sie die Schuhe schon ausgezogen hatte! Als er sie heute Morgen in der Schule angetroffen hatte, hätte er sie beinah nicht wiedererkannt.
>>Was ist?<< fragte Peggy leise, als sie seine Nachdenklichkeit bemerkte. Mark hob die Augen und sah sie an. >>Du siehst irgendwie anders aus. << sagte er, Peggy grinste. >>Gut anders, oder schlecht anders?<< - >>Ich weiß nicht. Anders halt. Verdammt erwachsen. << - >>Kleider machen Leute. << erwiderte Peggy, richtete sich auf und begann betont gelassen, die Knöpfe ihrer Bluse zu öffnen. Mark verfolgte jede ihrer Bewegung wie ein Luchs. Er wusste ganz genau, was sie da tat! Und sie wusste es auch! Er legte sich zurück und genoss die kleine Show, die Peggy da gerade abzog. Die Bluse war mittlerweile auf dem Boden gelandet und sie kniete mit BH und Rock bekleidet vor ihm, geschminkt, die Haare offen und mit dem Silberschmuck an Hals und Ohren. Eine Filmdiva war ein Dreck gegen sie! >>Eigentlich wollte ich mit dir reden und dich fragen, wie dein Tag war. << murmelte er, doch Peggy lächelte nur süß, setzte sich rittlings auf ihn und beugte sich hinunter. >>Später. << flüsterte sie dicht an seinem Mund und ließ ihre Zunge über seine Lippen und sein Kinn gleiten, knabberte sanft an seinem Hals. Mark spürte ihre Zähne auf seiner Haut und augenblicklich wurde seine Kehle staubtrocken. Sie sah ihn an und ihr heißer undurchdringlicher Blick traf genau ins Schwarze! Diese Augen! Diese Lippen, die leicht geöffnet waren und aus denen ihr Atem immer schwerer ging. Es kostete ihn mehr und mehr Mühe, sich zu beherrschen und abzuwarten, was sie als nächstes tun würde, auch wenn er schon ahnte, was sie vorhatte, als er ihre Zunge flüchtig zwischen ihren Zähnen hindurchblitzen sah.
Peggys schriller und viel zu lauter Handyklingelton durchbrach jäh die knisternde Stille zwischen ihnen. Mark fixierte sie mit seinem Blick, als wolle er sie zwingen, bei ihm zu bleiben. >>Wehe!<< raunte er, Peggy grinste verschmitzt und sah zum Nachttisch hinüber, auf dem die Handyvibration das Gerät zu einem unruhigen Tanz veranlasste.
>>Untersteh dich!<< warnte Mark sie erneut. Sie konnte da jetzt unmöglich drangehen wollen! Sie konnte mit ihrem unverschämt heißen Verführungsmanöver unmöglich einfach so aufhören! Doch, das konnte sie! Schon war sie aufgesprungen, streckte frech die Zunge raus und griff nach dem Handy. Mark starrte sie fassungslos an, während sie den Anruf entgegennahm und ließ sich gefrustet in die Kissen fallen. Er hatte keine Ahnung, mit wem sie da sprach, aber er war von ihrer Silhouette, die sich ihm im Halbdunklen darbot auch viel zu abgelenkt, als dass er darüber hätte nachdenken können. Sie war ans Fenster getreten, die eine Hand am Handy, die andere locker in die Seite gestützt. Mark schluckte, da war sie wieder: die Businessfrau!

 


Einige Wochen später sollte Peggys Vater seinen Geburtstag feiern. Einen runden, den 60. , und hatte zu diesem Anlass eine etwas größere Feier geplant. Es sollte ein Gartenfest geben, mit Catering und vielen Gästen, und natürlich durfte seine Tochter bei diesem Ereignis nicht fehlen! Peggy hatte seine Einladung mit höflichem Lächeln entgegengenommen und versprochen, Mark zu informieren und den Termin abzuklären. Innerlich wusste sie schon jetzt, dass das ein ziemlich langer und zäher Abend werden würde, denn sie konnte sich ausmalen, welche Gäste sich die Ehre geben würden. Mark, dem sie also einige Zeit später berichtete, konnte ihre missmutige Stimmung nicht ganz nachvollziehen.
>>Klingt doch nach einer netten Idee! Und besser, als in irgendeinem Restaurant zu sitzen. << - >>Ich weiß schon, wer da aufkreuzen wird. << hatte Peggy geantwortet. >>Das sind alles ziemliche Spießer. Du wirst es ja erleben. Vorausgesetzt, du möchtest mich begleiten. <<
Wenige Tage später war es soweit. Während Peggy sich in Schale warf, hatte Mark Emelie bei Sascha abgegeben. Glücklicherweise konnten sie auch heute wieder auf ihn zählen. >>Benimm dich!<< prägte Mark seiner Tochter ein, die jedoch schon gänzlich von Saschas Aquarium abgelenkt war und das langsame Ziehen der Fische fasziniert beobachtete. Sascha grinste und winkte ab. >>Wird schon schief gehen.<<- >>Tausend Dank! Ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist, dass du so oft auf sie aufpasst. << Für einen Moment dachte Mark darüber nach wie es wäre, wenn er und Peggy tatsächlich umziehen würden. Auf einen spontanen Babysitter im gleichen Haus müssten sie dann verzichten.
>>Ich mache das gerne, wirklich. << erwiderte Sascha. >>Da kann ich schon mal für mein eigenes Kind üben. <<
Mark starrte ihn an und wurde blass. Was sollte das denn heißen? Annika und er waren gerade erst einige Wochen zusammen. Und außerdem … >>Sag mal, hast du Annika eigentlich erzählt, dass du schon eine Tochter hast?<< fragte er geradeheraus, Sascha schluckte. Damit hatte er lange gehadert, aber schließlich eingesehen, dass die Wahrheit unabdingbar war. >>Ja, ich hab’s ihr gesagt. << - >>Und?<< - >>Nichts und. Sie hat kein Problem damit. Außerdem sehe ich Jaqueline ja eh kaum noch, seit Kim weggezogen ist. << Er senkte die Augen. Die Trennung war ihm nie leicht gefallen. Er bemühte sich zwar, den Kontakt nicht gänzlich einschlafen zu lassen, doch er musste sich mehr und mehr eingestehen, dass die Verbindung immer dünner wurde. Mark erwiderte nichts, streichelte Emelie noch einmal über den Kopf und verabschiedete sich von Sascha, ehe er zurück nach unten ging. Peggy war inzwischen mit ihrer Garderobe fertig geworden und drehte sich einmal im Kreis, sodass der leichte Stoff ihres knielangen dunkelblauen Kleides sanft um ihre Beine schwang >>Nimmst du mich so mit?<< - >>Hm, lieber würde ich dich hier behalten. << murmelte Mark, zog sie an sich und küsste sie sanft auf den Mund.
Wenig später kletterte Peggy ein wenig umständlich aus dem Auto und zupfte ihr Kleid zurecht. Dann sah sie an dem Haus ihrer Eltern hinauf und fragte sich für einen Moment, ob das wirklich schon immer so riesengroß gewesen war, oder ihr nur so vorkam, weil sie nicht mehr jeden Tag hier verbrachte. Aus dem hinteren Teil des Gartens erklangen schon Stimmen und Musikfetzen. Mark trat neben sie und nahm ihre Hand. >>Bereit?<< - >>Klar. Bringen wir es hinter uns. << sagte sie und gemeinsam gingen sie um das Haus herum.
Der weitläufige Garten war mit Lampions und dezenter Dekoration geschmückt, ein großes weißes Zelt stand inmitten der Rasenfläche und auf der Terrasse war bereits ein riesiges Buffet aufgebaut worden. Peggy starrte mit offenem Mund vor sich hin. Ihre Eltern hatten wie so oft ein wenig übertrieben und die unerwartete Größe dieser Feier wirkte beinahe einschüchternd! >>Ich dachte, dein Vater feiert Geburtstag und nicht die
Oskarverleihung. << sah auch Mark sich überrascht um, Peggy nickte. >>Ja, das dachte ich auch. << - >>Schätzchen, da seid ihr ja!<< kam eine aufgeregte Natascha auf die beiden zugelaufen und drückte jeden von ihnen herzlich an sich. Auch sie schien sich mächtig ins Zeug gelegt zu haben, um das perfekte Outfit präsentieren zu können. >>Du siehst toll aus!<< stellte Mark fest und überreichte ihr einen großen Blumenstrauß. Natascha lächelte dankend. >>Ihr aber auch! << - >>Wo ist Papa?<< fragte Peggy und ihre Mutter deutete auf eine Gruppe von Menschen, die ein wenig abseits standen und sich unterhielten. >>Schon belagert von Kollegen und Freunden. << erklärte sie. >>Aber er wird euch sicher bald begrüßen. Schön, dass ihr da seid! Bedient euch. << Sie nickte in Richtung Buffet, dann war sie auch schon wieder verschwunden. Peggy musste grinsen, ihre Mutter war schon immer wahnsinnig unter Druck gewesen, wenn sie so viele Gäste hatte. Bei ihr musste alles immer perfekt werden!
>>Kennst du irgendjemanden hier?<< raunte Mark ihr zu. Für ihn waren das alles durchweg fremde Gesichter, aber Peggy schien tatsächlich den ein oder anderen wiederzuerkennen und nannte ein paar Namen, die Mark jedoch sicher nicht so schnell behalten würde. >>Na komm, wir mischen uns mal unter das Volk. << entschied sie irgendwann, harkte sich bei ihm unter und gemeinsam marschierten sie los.

 

Schon bald musste Mark feststellen, dass Peggy keineswegs übertrieben hatte. Die meisten Gäste schienen tatsächlich ziemlich spießig zu sein und manche sogar so von sich eingenommen, dass sie ihn gar nicht richtig wahrgenommen hatten. Der Großteil stammte aus Franks Kollegenkreis: Ärzte, Professoren und andere hochkarätige Menschen aus der Klinik. Auch ein Teil von Nataschas Kollegen war gekommen und standen sich in puncto Überzogenheit in nichts nach. Bereits nach zwei Stunden war Mark genervt von den ganzen Gesprächen über Reisen, Sport, Geld und anderer Statussymbole. Peggy hingegen schien alledem besser gewachsen zu sein. Immerhin hatte sie jedoch auch Erfahrung mit solchen Menschen. Der Gedanke, dass sie als junges Mädchen häufiger in solchen Kreisen verkehrt haben musste, stimmte Mark beinah mitleidig. Aber er war froh, dass sie ihm nicht von der Seite wich und zum Glück auch niemand nach den Umständen ihrer Beziehung fragte. Die bornierten Herrschaften würden ganz schön staunen!
Jetzt saß er neben ihr an einem der Tische und hatte das zugegebenermaßen wirklich köstliche Essen genossen! Auch hier hatten Peggys Eltern wohl weder Kosten noch Mühen gescheut, die sich zu ihnen gesellt hatten und ein wenig plauderten. Vielleicht sollten sie den Namen der Cateringfirma in Erfahrung bringen und sich für die Hochzeit vormerken.
Frank nahm zufrieden einen Schluck aus einem Weinglas und ließ seinen Blick über die locker verteilten Gäste schweifen. Der Abend schien gut zu gelingen! Am meisten freute er sich jedoch darüber, dass Peggy und Mark seiner Einladung tatsächlich gefolgt waren, auch wenn er sich denken konnte, dass sie nicht gerade Luftsprünge gemacht hatten. Aber eigentlich sahen sie ganz zufrieden aus, besonders Peggy, die sich das Essen schmecken ließ und auch heute Abend wieder einmal sein ganzer Stolz war! Sie wirkte unglaublich erwachsen und gleichzeitig noch so jung und mädchenhaft, dass er beinahe gerührt wurde. Wahrscheinlich würde sie für ihn immer sein kleines Mädchen bleiben! In dem Moment entdeckte Frank einen weiteren Gast, der gerade durch das Gartentor getreten war und sich ein wenig unsicher umsah. Er setzte sich auf und kniff die Augen zusammen, um ihn näher erkennen zu können und sicherzugehen, sich nicht getäuscht zu haben. >>Peggy, sieh mal wer da kommt!<< sagte er schließlich und Peggy folgte seinem Blick. Sie schnappte nach Luft und blickte entzückt zu ihren Eltern. Auch Natascha hatte den Neuankömmling inzwischen gesehen und lächelte ihrer Tochter zu. >>Na, das ist doch mal eine schöne Überraschung. << Peggy sprang so schnell auf, dass ihr Stuhl beinah nach hinten kippte und lief los. Mark saß völlig verdattert da und beobachtete, wie Peggy dem Fremden mit einer herzlichen Umarmung um den Hals fiel. >>Wer ist das?<< fragte er und hoffte, dass man ihm sein Unbehagen nicht anmerkte.
>>Das ist Alexander. << erklärte Frank. >>Der Sohn eines guten Kollegen von mir. Peggy und er kennen sich seit Kindertagen, haben sich aber schon lange nicht mehr gesehen. << Mark grübelte, ob Peggy ihm jemals etwas von einem Alexander erzählt hatte, konnte sich jedoch nicht erinnern. Offenbar schien es nicht so wichtig zu sein, dass sie darüber berichtete. >>Scheinen sich ja noch gut zu
verstehen. << stellte er mit Blick auf die beiden fest. Auch Alexander war sichtlich erfreut und strahlte Peggy geradezu an. Natascha hatte den bitteren Tonfall seiner Stimme sofort bemerkt und legte beruhigend die Hand auf seine. >>Keine Sorge, du hast keinen Grund nervös zu sein. << - >>Nein, nicht mehr. << bestätigte auch Frank und Mark stutzte. Nicht mehr? >>Es gab Zeiten, da hätten wir uns sehr gewünscht, dass die beiden ein Paar werden. Aber es sollte nicht
sein. << Frank hob die Schultern und sah ihn aufmunternd an. Mark erwiderte nichts, sondern sah abermals zu Alexander hinüber, der in seinem l
égeren Anzug und den dunklen leicht lockigen Haaren in der Abenddämmerung viel zu gut aussah! Obwohl Peggy hohe Absätze trug war er dennoch einen ganzen Kopf größer als sie und die Art, wie sie so zu ihm hinaufsah, machte Mark wahnsinnig!

 

Peggy streifte ihre Schuhe von den Füßen, dann hockte sie sich zurück auf das große weiße Sofa ihrer Eltern und sah Alexander interessiert an, der ihr gegenüber saß und ein wenig aus seinem Leben erzählte. Entgegen dem Wunsch seines Vaters hatte er Architektur studiert und machte nun in einer namenhaften Firma seine ersten Gehversuche. Mit Erfolg, inzwischen waren ihm schon einige Projekte anvertraut worden. Peggy hörte ihm gespannt zu, sie freute sich wirklich darüber, ihn nach so langer Zeit mal wiederzusehen. Das letzte Mal schien ewig her zu sein.
>>Du bist ganz schön erwachsen geworden. << stellte Alex irgendwann fest und Peggy grinste. >>Naja, es sind ja auch einige Jahre vergangen. Und in der Zeit ist viel passiert. << Alex nickte, seine grauen Augen sahen sie aufmerksam an. Er erinnerte sich nur allzu gut an die Zeiten, in denen er und Peggy sich noch öfter gesehen hatten. Meistens dann, wenn irgendwelche repräsentativen Treffen ihrer Väter stattgefunden hatten und sie als brave Sprösslinge auf der Bildfläche zu erscheinen hatten. Beide hatten diese Veranstaltungen immer grässlich gefunden und sich gegenseitig ein wenig aufgemuntert, wenn sie zwischen all den langweiligen Erwachsenen mal wieder als so wohlerzogen wie möglich fungieren mussten. 
>>Ist dein Vater auch hier?<< wollte Peggy wissen, doch Alex schüttelte den Kopf. >>Der ist zurzeit im Ausland und hat mich daher als Vertretung
geschickt. << Er verdrehte die Augen und Peggy musste lachen. >>Naja, es gibt schlimmere Anlässe. << Sie prostete ihm mit ihrem Sektglas zu. Alex beugte sich ein wenig vor. >>Wollen wir abhauen? Wir könnten ein bisschen die Stadt unsicher machen. << Peggy wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als sich wie auf sein Stichwort Mark zu den beiden gesellte. Er würdigte ihn keines Blickes, als er sich zu Peggy hinabbeugte und ihr einen eindeutigen Kuss auf die Lippen drückte. >>Ich hab mich verquatscht. << erklärte sich Peggy mit brüchiger Stimme, denn dieser Kuss hatte sie ganz schön aus der Bahn geworfen.
>>Das ist Alexander. Wir kennen uns von früher. Und das ist Mark … << - >>Ihr verlobter! << nahm Mark ihr das Wort aus dem Mund, während Alexander aufgestanden war und seinen kräftigen Händedruck erwiderte. Peggy bemerkte sofort, wie sich die Stimmung veränderte, als Alexander und Mark sich anstarrten, wie Kontrahenten in einem Boxring. Es war eindeutig, dass Mark die Besitzverhältnisse klären wollte. Und sie war sich nicht sicher, ob sie das schmeichelte, oder albern fand, denn von Alex hatte er nun wirklich nichts zu befürchten!
>>Verlobt. Wow!<< erwiderte dieser ein wenig überrascht. >>Dann ist dein Wunschtraum ja in Erfüllung gegangen. << - >>Oh ja!<< lächelte Peggy zurück und warf Mark einen kurzen Seitenblick zu, der Alexander nach wie vor und eine Spur zu feindselig anstarrte.

Der restliche Abend verlief wie erwartet: langatmig und irgendwie anstrengend, wie Peggy festgestellt hatte. Um Mark ein wenig milde zu stimmen hatte sie auf weitere ausgedehnte Plaudereien mit Alex verzichtet und sich stattdessen mit einigen anderen Gästen ihres Vaters unterhalten, doch diese Gespräche waren dermaßen öde, dass sie schon bald die Lust verlor. Jetzt saß sie in der Hollywoodschaukel, die ein wenig abseits des Trubels am Rande des Gartens stand und knabberte an ein paar Weintrauben, die sie sich eben vom Buffet stibitzt hatte. Sie legte den Kopf in den Nacken und blickte in das Dunkel des abendlichen Himmels. Von weitem zogen Wolken auf, die bedrohlich nach Regen aussahen. Vielleicht würde dieses Fest gleich schneller beendet sein, als erwartet. Peggy klopfte sich innerlich auf die Finger und verwarf diesen Gedanken. Immerhin war es die Geburtstagsfeier ihres Vaters und der schien den Abend zu genießen.
Sie warf einen Blick zu Mark hinüber, der in einem merkwürdigen Schweigen neben ihr saß und die geladenen Gäste beobachtete.
>>Was hast du?<< fragte Peggy mit halb vollem Mund und grinste. >>Schlecht gelaunt? Ich hab es dir gesagt, diese Party wird kein Knaller. << - >>Gefällt er dir?<< fragte Mark unvermittelt, Peggy stutzte. Das kam unerwartet und sie brauchte einen Moment, um seine Gedanken nachvollziehen zu können. >>Alexander. << half er ihr auf die Sprünge. >>Stehst du auf den?<<
Es kostete Peggy all ihre Selbstbeherrschung, um nicht völlig genervt die Augen zu verdrehen. Wie kam er denn auf so etwas absurdes? >>Okay, durchschaut. << antwortete sie mit vollem Ernst, während Mark fast sämtliche Farbe aus dem Gesicht gewichen war. Sie hob die Schultern. >>Naja, er ist in meinem Alter, gutaussehend, erfolgreich, höflich … << Mit jedem Wort wurde Mark blasser, und blankes Entsetzen spiegelte sich in seinen Augen. Offenbar klang sie ein bisschen zu überzeugend. Peggy steckte sich die letzte Traube in den Mund und unterdrückte ihr Grinsen. Es war Zeit, zurückzurudern. >>Aber du hast ihm gegenüber einen eindeutigen Vorteil!<< - >>Ach ja?<<
Sie wandte sich ihm zu und sah ihn direkt an. >>Du bist der Mann, den ich liebe! Und den ich heiraten will!<< Beim Klang ihrer sanften und absolut ehrlichen Worte wurde Mark ganz heiß! Ein Lächeln umspielte ihre dezent geschminkten Lippen. Sie hatte es wieder einmal geschafft, ihn aufs Korn zu nehmen! Wie so oft! Er antwortete nicht, nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie innig. Dann legte er seine Stirn gegen ihre und beide verharrten einen Augenblick in diesem wunderbaren Moment, in dem es schien, als wären sie ganz allein auf der Welt! >>Du musst wirklich deine Paranoia abstellen, dass mich alle Männer anmachen wollen. << flüsterte Peggy, er sah in ihre Augen. >>Ich? Darf ich dich an Fiona erinnern?<< Peggy schluckte, als sie an diese viel zu attraktive Rezeptionistin in Hamburg zurückdachte, die eindeutige Absichten gehabt hatte. >>Das war keine Paranoia, das war eine Tatsache!<< - >>Stimmt. << gab Mark grinsend zu und Peggy musste lachen.
Er nahm ihre Hand und ließ seinen Daumen über den Ring gleiten, den sie seit dem Tag der Verlobung keine Sekunde vom Finger genommen hatte! Der Ring, der sie mit ihm für immer verbinden sollte… ein unheilvolles Grollen erklang vom Himmel und die Gäste blickten ein wenig besorgt nach oben. Keiner von ihnen wollte sich schließlich den teuren Anzug, oder das Designerkleid in einem Unwetter ruinieren. >>Wie wäre es, wenn wir so langsam den Heimweg antreten?<< schlug Mark vor, Peggy nickte. Nur zu gern! Doch da fiel ihr noch etwas ein. >>Sollen wir Mama und Papa vielleicht noch unsere Entscheidung bezüglich der Wohnung mitteilen? Immerhin sind wir uns ja jetzt einig. << Mark und sie hatten in den letzten Tagen immer wieder alle Vor- und Nachteile durchgekaut, hin- und her überlegt und waren letztendlich zu einem Entschluss gelangt, von dem die Eltern jedoch bislang noch nichts wussten. Mark stand auf und zog sie mitsich. >>Lass uns das beim Frühstück mit ihnen am Wochenende besprechen. Da können wir das besser klären als jetzt zwischen Tür und Angel.<< Als recht unspektakuläres Geburtstagsgeschenk hatten sie nämlich einen Tisch im Frühstücksrestaurant serviert und würden dieses Geschenk schon am kommenden Wochenende einlösen wollen. >>Ja, gute Idee. << lächelte Peggy und schmiegte sich an ihn. >>Mein kluger Freund hat mal wieder recht!<< - >>Verlobter!<< korrigierte Mark und Peggys Lächeln wurde breiter. >>Darf ich mich noch von Alex verabschieden?<< fragte sie vorsichtig und bemerkte, wie sein Blick eine Spur verschlossener wurde. Dennoch nickte er und gemeinsam gingen sie in Richtung Haus und Gäste zurück. Peggy sah sich suchend um. Eigentlich müsste sie ihn sofort entdecken, so hochgewachsen wie er war. >>Vielleicht ist er noch drinnen. Ich geh mal gucken. << - >>Mach das, ich warte hier. << antwortete Mark und ließ sie ein wenig widerstrebend los. Er hatte nicht die Absicht, diesem Typ nochmal über den Weg zu laufen und es wäre ihm auch lieber, wenn Peggy ihn nicht aufsuchen würde, aber ihm war völlig klar, dass er ihr nichts verbieten konnte. So beschloss er, sich noch einen letzten Drink zu genehmigen und hoffte, dass Peggy gleich gerne die Autofahrt übernehmen würde.

Unterdessen war Peggy ins Haus geschlichen und blieb verwundert stehen, als sie über die Terrasse in das Wohnzimmer gelangt war. Sie sah Alexander an dem sonst kaum benutzten Flügel ihrer Eltern sitzen und vernahm die sanften Klänge der Musik, als er seine Finger geübt über die Tastatur gleiten ließ. Es hörte sich einfach fabelhaft an. Sie hatte gar nicht gewusst, dass er so gut spielen konnte! Er schien sie noch nicht bemerkt zu haben, denn er saß nach wie vor mit geschlossenen Augen da, den Kopf leicht geneigt, als würde er den Tönen nachspüren wollen. Peggy betrachtete ihn und musste sich eingestehen, dass er wirklich toll aussah! Sie hatte es schon immer bewundert, wenn Männer ein Instrument beherrschten und besonders Klaviermusik ging ihr direkt ins Herz! Schade, dass sie nie Zeit und Gelegenheit gehabt hatte, selbst spielen zu lernen. Für einige Sekunden schloss sie ebenfalls die Augen, lehnte sich an die Zimmerwand und nahm jeden Klang, jeden Ton direkt in sich auf. Sie kannte das Stück nicht, aber es war berührend und ließ eine Gänsehaut über ihre Arme fließen. Langsam blinzelte sie gegen das schwache Licht an, das von draußen in das halbdunkle Zimmer drang. Sie erkannte Alexanders dunkle Augen auf sich ruhen und sein beinah liebevolles Lächeln, die Finger noch immer wie schwerelos auf den Tasten. Peggy hob die Hand zum Gruß, lächelte schwach zurück und fühlte sich wie gefangen von dieser unendlich schönen Musik! Sie hätte ewig hier stehen und lauschen können, aber sie musste sich losreißen. Und irgendwie gelang es ihr. Sie ging. Ohne Verabschiedung.