Die Nachhilfestunde 89: das Parfum

Das Frühstücksrestaurant Adiamo platzte an diesem Sonntagmorgen aus allen Nähten! Hätten sie keine Reservierung getätigt, so hätten Peggy und Mark wohl kaum eine Chance gehabt, Natascha und Frank heute hier her einzuladen. Umso besser, dass sie rechtzeitig vorgesorgt hatten und nun entspannt das reichhaltige Frühstücksangebot plündern konnten. Ein wenig überfordert stand Peggy mit dem Teller in der Hand da und betrachtete die Unmengen an Brot, Brötchen, Müslis, Joghurts, Früchten und Obstsorten aller Art! Und das war erst der erste Teil des Buffets. Weiter hinten gab es noch Spiegeleier, Omeletts, Bacon und einfach alles, was das Herz höher schlagen ließ. Mark hatte seine Auswahl bereits getroffen und saß schon mit Peggys Eltern an einem der stilvoll eingedeckten Tische. Frank hatte sich über die Einladung sehr gefreut! >>Nicht sehr originell, aber die Idee kommt von Herzen. << versicherte Mark, Frank schüttelte den Kopf. >>Es ist wunderbar. In meinem Alter braucht man keine großartig ausgefallenen Geschenke mehr. Da ist Zeit mit den Liebsten das Allerwichtigste. <<
Wenig später stieß auch Peggy endlich mit dazu und nun konnten sich alle ihr Frühstück schmecken lassen. Selbst Emelie, die natürlich nicht fehlen durfte, hatte ihr eigenes kleines Platzgedeck bekommen und war sichtlich stolz darüber. So stolz, dass sie mehr Zeit damit verbrachte, ihre Müslischale zu begutachten, als dass sie wirklich aß. Natascha, die neben ihr saß versuchte mehrmals sie davon zu überzeugen, dass es viel besser sei, die Frühstücksflocken in den Magen zu bekommen und nicht nur anzustarren, aber Emelie hatte nun mal ihren eigenen Kopf und außerdem gab es hier noch eine Menge anderer spannender Dinge, die man entdecken konnte.
>>Wie hat euch eure Party
gefallen? << wollte Peggy an ihre Eltern gewandt wissen. >>Waren die Gäste zufrieden?<< - >>Oh ja, und wie! Es war ein sehr gelungener Abend. << betonte Frank erfreut und schenkte sich und seiner Frau ein wenig Kaffee nach. >>Nur schade, dass ihr so schnell weg wart. Alexander hat noch nach dir gesucht. <<
Aus den Augenwinkel konnte Peggy sehen, wie Mark bei dem Namen zusammengezuckt war. Anscheinend war er noch immer nicht gerade beliebt bei ihm. >>Wir sollen dir aber ganz liebe Grüße bestellen. << sagte Natascha. >>Und er meinte, wenn du Lust hättest, Klavier zu lernen, dürftest du dich gerne bei ihm melden. Keine Ahnung, was das zu bedeuten hat. <<
Peggy biss sich auf die Lippe, sie wusste nur zu gut, worauf Alex damit anspielen wollte, aber das würde sie jetzt definitiv nicht aufklären, auch wenn sie den nur allzu verwirrten Blick von Mark auf ihrer Wange spürte. Vielleicht später. Jetzt musste sie das Thema wechseln.
>>Wir haben uns übrigens entschieden. Wegen der Wohnung. << Frank setzte sich aufrechter hin und sah den beiden gespannt entgegen. Er hatte schon lange auf eine Antwort gewartet, nun war der Moment wohl gekommen.  Peggy und Mark tauschten einen schnellen Blick, ehe Mark mit der Verkündung begann.
>>Diese Wohnung ist wirklich unfassbar schön! Quasi wie für uns gemacht. Gleichzeitig ist das allerdings nichts, was wir so leichtfertig annehmen können. Oder wollen. << - >>Wir haben wirklich ewig darüber nachgedacht, Papa. << setzte Peggy fort, als sie den Anflug von Enttäuschung auf dem Gesicht ihres Vaters wahrnahm. >>Und wir sind zu zwei Entschlüssen gelangt. << - >>Na, jetzt bin ich aber gespannt. << warf Natascha ein. Auch für sie war das ganze recht aufregend, denn sie wusste, was es für ihren Mann für eine große Ernüchterung bedeuten würde, sollten die beiden das Angebot ausschlagen. Und im Augenblick konnte sie überhaupt nicht einschätzen, wie Mark und Peggy sich entschieden hatten.
>>Erstens: du, respektive ihr seid völlig wahnsinnig, uns eine Wohnung als Hochzeitsgeschenk zu präsentieren. << sagte Peggy und sah ihre Eltern mit mildem Tadel an, doch Frank war viel zu gespannt, als dass er darauf hätte eingehen wollen. >>Und zweitens, << ergänzte Mark >>wären wir genauso wahnsinnig, wenn wir uns diese Chance entgehen lassen würden. << - Peggys Vater sah zwischen den beiden hin und her, wartete ab, ob da noch etwas folgen könnte, doch das Lächeln der beiden ließ seine kleine Hoffnung wachsen.
>>Soll das heißen, ihr nehmt sie? Ihr zieht dort ein?<< - >>Ja. Aber nicht sofort! Schließlich müssen wir erstmal unsere Hochzeit auf die Beine stellen. <<  - >>Oh Schatz, das ist wunderbar! Ich freue mich!<< Frank war aufgestanden, trat um den Tisch herum und nahm seine Tochter herzlich in die Arme. Mark bedachte er mit einem freundschaftlichen Händeschütteln. >>Ihr werdet das nicht bereuen! <<
Frank winkte die Bedienung an ihren Tisch, um gleich darauf eine Flasche Champagner und für Emelie einen extra großen Orangensaft zu bestellen.
>>Dir natürlich auch vielen Dank. << lächelte Peggy ihre Mutter an, die die Szene erfreut mit angesehen hatte. Sie lachte. >>Ich hab nicht viel gemacht, nur ein wenig bei der Immobiliensuche geholfen. Aber ich freue mich auch sehr, dass ihr nun bald euer eigenes kleines Reich haben werdet. <<
Mark drückte Peggy ansich und nickte. Ja, darauf freute er sich auch schon jetzt: er und Emelie und Peggy, und nichts und niemand, der sie dabei stören würde, mehr und mehr Familie zu werden! Der Gedanke war überwältigend!

Nachdem sie das Restaurant am späten Vormittag wieder verlassen und noch einen ausgedehnten Spaziergang im Park unternommen hatten, verabschiedeten sich Natascha und Frank schließlich. Für sie ging es direkt weiter zum nächsten Treffen bei einem langjährig befreundeten Ehepaar, mit dem sie sich zu einer Weinprobe verabredet hatten. Während Emelie Gefallen an den Schaukelpferden gefunden hatte, die in der Fußgängerzone aufgestellt waren, standen Peggy und Mark am Straßenrand und winkten dem Auto nach, das gerade langsam aus der Parklücke gerollt war. >>Ich glaube, dass wir die Wohnung nehmen war das größere Geburtstagsgeschenk für deinen Vater. << vermutete Mark und da konnte Peggy nur zustimmen. >>Absolut. << Sie sah ihn an. >>Bist du glücklich mit der Entscheidung?<< - >>Mit der Entscheidung, mit diesem Tag, mit dir… ich bin in vielerlei Hinsicht ein echter Glückspilz. << - >>Spinner!<<
Lächelnd ließ sich Peggy von ihm in die Arme nehmen. Auch sie war glücklich! Es fühlte sich richtig an, diesen Schritt in Angriff zu nehmen, auch wenn sie schon jetzt wusste, dass ihr der Auszug schwerfallen würde! Aber bis dahin war noch eine Menge Zeit. Sie streckte sich ein wenig, doch noch ehe ihre Lippen seine berühren konnten, wandte Mark den Kopf und ihr Kuss verhauchte ins Leere.
>>Du bist mir noch eine Erklärung schuldig. << klärte er sie auf, als sie ihn irritiert ansah. >>Was sollte Alex‘ Spruch mit dem Klavierspielen?<< Peggy seufzte. Sie hatte eigentlich angenommen, er hätte das schon wieder vergessen, doch anscheinend hing es ihm doch noch nach. >>Ernsthaft?<< versuchte sie Zeit zu schinden. >>Ich dachte, wir hätten das Thema Eifersucht geklärt. << - >>Haben wir, aber deswegen kannst du es mir doch trotzdem verraten, oder?<<
Die Selbstverständlichkeit in seiner Stimme ließ keinen weiteren Einwand gelten! Im Grunde war es auch keine große Sache, im Gegenteil. Es war so nebensächlich, dass Peggy es beinah albern vorkam, dass sie überhaupt darüber redeten. In knappen Worten fasste sie ihre Begegnung mit Alexander zusammen, als sie ihn während seines Klavierspieles angetroffen hatte. >>Ich fand das einfach schön und hab ihm eine Weile zugehört. Das ist alles. << schloss sie und musste sich einen prüfenden Blick von Mark gefallen lassen. >>Wirklich?<< - >>Himmel Herrgott, ja!<< brauste sie auf, beherrschte sich aber, als sie Emelies erschrockenes Gesicht bemerkte. Sie war einfach unglaublich empfindsam für Stimmungsveränderungen und bekam alles immer ganz genau mit. >>Was willst du denn noch hören? Dass er über mich hergefallen ist und mich direkt auf dem Flügel gedingst hat?! << - >>Gedingst?<< wiederholte Mark amüsiert und konnte sich ein Lachen nicht verbeißen. Wieso nannte sie das Kind nicht einfach beim Namen? Sie war doch sonst nicht so prüde. >>Er soll sich hüten! Aber vielleicht sollte ich dich mal auf einem Flügel dingsen. << - >>Nur dass wir keinen haben. << entgegnete Peggy und musste mit den aufkommenden Bildern in ihrem Kopf kämpfen, was jedoch gänzlich misslang, als Mark genau diese Gedanken auch noch aussprach und sie dabei dicht an seinen Körper herandrückte.
>>Für die neue Wohnung kaufen wir einen. Und dann wirst du auf dem blank polierten Holz liegen. In Dessous, die ich dir Stück für Stück vom Körper pflücken werde… <<  - >>Mark, hör auf!<<
Sie befreite sich mühsam aus seiner Umarmung und musste tief Luft holen. Die Erotik in seiner Stimme hatte ihr sprichwörtlich den Atem verschlagen. Triumphierend sah er sie an. >>Weißt du jetzt wieder, zu wem du gehörst?<< - >>Das wusste ich schon immer. << Sie trat wieder einen kleinen Schritt näher an ihn heran und reckte abermals den Hals. >>Darf ich dich küssen?<< - >>Du sollst sogar!<<

Der restliche Sonntag verlief ruhig und unspektakulär. Emelie döste in ihrem Kinderbett, vermutlich ermüdet von den vielen Eindrücken des Vormittages, Peggy lag auf dem Sofa, kaute an einem Stift und versuchte, sich mit einigen wissenschaftlichen Texten auseinanderzusetzen, die sie für die nächste Vorlesung brauchen würde. Und auch Mark musste sich mehr oder weniger motiviert an seine Unterrichtsplanung setzen, gedanklich jedoch kam er einfach nicht von der Vorstellung los, wie Peggy und er schon bald in der neuen Wohnung leben würden. Er konnte sich schon gut ausmalen, wie sie einmal aussehen würde: die Einrichtung, die Deko, die ganzen neuen Sachen, die sie sich anschaffen würden. Nicht zuletzt der Flügel… Mark lehnte sich zurück und ließ seinen Kuli gedankenverloren von einer Hand in die andere wandern. Ja, so ein Flügel wäre wirklich etwas besonderes, aber er wusste, dass diese Instrumente ziemlich kostspielig und somit nicht allzu leicht zu bekommen waren. Mal ganz davon abgesehen, dass weder er noch Peggy überhaupt spielen konnten…
Peggy bemerkte seinen nachdenklichen und leicht abwesenden Blick und ließ ihr Manuskript sinken. >>Du sollst nicht faulenzen, sondern deine Arbeit machen!<< tadelte sie ihn zwinkernd, Mark drehte sich zu ihr. >>Ich hab mir gerade vorgestellt, wie wir die Wohnung einrichten. Und wo wir den Flügel hinstellen können. << Peggy schluckte, als sich abermals diese gewissen Bilder in ihren Kopf schlichen. >>Das hat doch alles noch Zeit, oder? Wir werden eh erst nach der Hochzeit umziehen. Und wenn wir mit unserer Planung so vorankommen wie momentan wird das erst in fünf Jahren was werden. << Mark lachte, hörte aber den ernsten Tonfall unter ihrer sarkastischen Stimmlage heraus. Es stimmte, irgendwie kamen sie nicht so richtig in die Gänge, auch wenn beide es kaum erwarten konnten. >>Hast du Herrn Westermann denn geantwortet?<< fragte er so ruhig wie es ihm bei diesem Thema möglich war. Peggy setzte sich auf und sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren. >>Nachdem du so ausgerastet bist? Nein, natürlich nicht. << - >>Ich bin überhaupt nicht ausgerastet. << verteidigte Mark sich sofort, doch Peggy hob nur pikiert eine Augenbraue und wandte sich wieder ihren Texten zu. Das sah sie aber gehörig anders! Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, wie Mark sich langsam von seinem Platz erhob und auf sie zu schlenderte.
Das konnte nur bedeuten, dass er etwas im Schilde führte, doch sie ließ sich nicht ablenken und starrte weiter unbeirrt auf ihren Zettel. Der Inhalt war ihr jedoch bereits wieder gänzlich entfallen! Mark beugte sich über sie und hob ihr Kinn an, sodass sie gezwungen war, ihn anzusehen. >>Was hältst du davon, wenn wir nochmal gemeinsam zu dieser Agentur gehen?<< schlug er vor und Peggy blinzelte überrascht. Mit so einer Idee hatte sie am wenigsten gerechnet und sie wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte. >>Und das ist dann kein Problem mehr für dich?<< - >>Ich gebe dem Ganzen eine zweite Chance, sagen wir so. << sagte Mark. >>Und wenn er uns ein wirklich gutes Konzept präsentiert, dann hat er den Job. << - >>Okay. << lächelte Peggy. >>Und ich werde mich in Sack und Asche hüllen, um Herrn Westermann nicht irgendwelche Anlässe zu geben. << - >>Selbst in Sack und Asche würdest du noch sexy aussehen!<<  erwiderte Mark leise und seine tiefe dunkle Stimme ging Peggy durch und durch! Mit einer schnellen Handbewegung warf sie ihre Unterlagen zur Seite und sank wieder etwas tiefer in das Sofa hinein, spürte ihr Herz rasen und ihren Mund trocken werden, während sie Mark abwartend ansah. Jeden Moment würde er sie küssen, berühren, wahnsinnig machen …
>>Mama!<< brüllte er da aus dem angrenzenden Zimmer heraus und Peggy zuckte zusammen. Sofort war jedes Knistern erloschen! Einen Augenblick verharrten sie noch. Vielleicht würde sich der Schreihals von selbst wieder beruhigen, doch die Chance erwies sich als äußerst gering. >>Mama! Komm her!<< - >>Wieso haben wir ihr bloß das Sprechen beigebracht?!<< seufzte Mark gequält und ließ Peggy frei, sodass sie aufstehen konnte. Sie zupfte ihr T-Shirt gerade und schüttelte ihre Haare auf. Mark sah ihr zu. Sie war wirklich verdammt heiß! Vielleicht wären Sack und Asche doch keine schlechte Idee.

 

>>Sozialstunden? Ist das deren verdammter Ernst?<< erboste sich Sascha und blickte Annika gleichermaßen wütend wie ungläubig an. Soeben hatte sie von einem Polizeibeamten erfahren, dass Sascha für den Angriff auf sie und Peggy eine Vorstrafe bekommen würde. Eine Verwarnung und die Ableistung von 60 Sozialstunden, was für ihn sicherlich kein Zuckerschlecken werden würde, da war Annika sich sicher. Aber insgeheim hatte auch sie mit einem etwas höheren Strafmaß gerechnet, deswegen konnte sie Saschas Reaktion gut nachvollziehen, nachdem sie ihm von all dem berichtet hatte. Die beiden hatten sich in dem Café getroffen, in dem Peggy früher mal gejobbt hatte. Inzwischen jedoch erinnerte hier nichts mehr an die damalige Zeit: der Besitzer hatte gewechselt und mit ihm beinah die komplette Innenausstattung.
>>Naja, besser als nichts. << sagte Annika vorsichtig und nippte an ihrem Milchshake. Doch Sascha saß nach wie vor kopfschüttelnd da und konnte es nicht verstehen. >>Annika, ihr wart verletzt! Ihr habt eine Nacht im Krankenhaus gelegen, von euren psychischen Folgen mal ganz zu schweigen! Und für sowas gibt es Sozialstunden? << - >>Du brauchst mich nicht daran zu erinnern. << murmelte Annika und unterdrückte den Schauer, der ihr über den Rücken laufen wollte. Noch immer träumte sie ab und zu von diesem furchtbaren Abend, von dem Krankenhaus und den Blutspuren auf Peggys Gesicht. Sanft nahm Sascha ihre Hand und sah sie entschuldigend an. Es war nicht seine Absicht gewesen, alte Wunden aufzureißen.
>>Was sagt Peggy dazu?<< - >>Ich weiß nicht, ob sie schon informiert wurde. Ich hab den Anruf ja auch vorhin erst bekommen. << Wie auf ihr Stichwort kam Peggy in diesem Moment durch die Tür gewirbelt, dicht gefolgt von Mark, der nicht weniger unter Strom zu stehen schien. Annika winkte den beiden zu und Sekunden später hatte Peggy auch schon ihre Tasche auf den Tisch und sich selbst auf einen der freien Plätze fallen lassen. Auch Mark zog einen Stuhl heran, begrüßte Sascha mit einem schnellen Handschlag und setzte sich. Annika sah zwischen den beiden hin und her. Peggy lächelte ihr zwar zu, doch es herrschte eine eigenartige Atmosphäre.
>>Wollt ihr auch was trinken?<< fragte sie rasch und schob die Getränkekarte über den Tisch. >>Ja. Ein Schnaps wäre nicht schlecht. << grummelte Mark und Peggy verdrehte die Augen. Sascha warf Annika einen alarmierten Blick zu. Schlechte Stimmung, formte er mit den Lippen und sie nickte schwach. Das war nicht schwer zu erkennen! Und ziemlich unangenehm auszuhalten. >>Was ist los?<< wagte Sascha einen zaghaften Vorstoß, doch Peggy verschränkte nur die Arme und wandte den Blick ab. Sie hatte nicht die geringste Lust, darüber zu reden. Sie und Mark waren gerade von ihrem Termin in der Eventagentur gekommen und Herr Westermann hatte seine Ideen für die Hochzeitsplanung großartig präsentiert und ihnen ein hervorragendes Angebot gemacht! Mark sah das allerdings ein wenig anders. Für seinen Geschmack war er erneut viel zu offensichtlich daran interessiert gewesen, Peggy zu vereinnahmen. Schon nach wenigen Minuten war ihm übel gewesen von seinen schleimigen Komplimenten, seinem Grinsen und seinem Aftershave. Und nachdem sie die Agentur wieder verlassen hatten, konnte er sich nicht mehr zurückhalten, hatte jedoch nicht mit Peggys heftiger Gegenwehr gerechnet.
>>Peggy will unsere Hochzeit von einem notgeilen Vollidioten ausrichten lassen, das ist los. << brach es aus ihm heraus und Annika und Sascha rissen zeitgleich die Augen auf. Vorsichtig sahen sie zu Peggy hinüber, die ihre Finger gegen die Stirn gepresst und die Augen geschlossen hatte. Sie schüttelte den Kopf, als könne sie nicht fassen, was hier gerade passierte.
>>Du hast selbst gesagt, wenn er uns etwas richtig Gutes präsentiert, engagieren wir ihn! << - >>Das Einzige, was er präsentiert hat war sich selbst und sein Interesse an dir. Aber das scheint dich ja nicht gestört zu haben. << - >>Es ist unglaublich, wie du übertreibst!<<
Peggy sah ihn an, ihr Ärgernis sprang ihm förmlich entgegen. >>Man, er will uns als Kunden gewinnen! Ist doch klar, dass er uns dafür Honig ums Maul schmiert! Das hat nichts mit mir zu tun, verdammt! << - >>Doch, aber du bist leider zu naiv, um das zu erkennen! Oder aber es gefällt dir, wie er dich anbaggert. << - >>Okay, Time Out!<< rief Sascha dazwischen. Nun starrten sich die beiden nur feindselig an und Peggy schluckte ihre wütende Antwort hinunter. Stattdessen würdigte sie ihn nun keines Blickes mehr und auch Mark saß in angespanntem Schweigen da, die Hände auf dem Tisch zu Fäusten geballt, in den Augen ein kampflustiges Glitzern.
Annika betrachtete ihn mit einem verstohlenem Blick. Er sah gut aus, besonders in diesem aufgebrachten Zustand… schnell verwarf sie diesen Gedanken. Es war Zeit, etwas zu unternehmen! Und auch Zeit, die beiden von einander zu trennen.
Sie legte ihre Hand auf Peggys Knie und sah sie aufmunternd an. >>Ich wollte gerade einen kleinen Einkaufsbummel machen. Ich brauche was Neues zum Anziehen. Hast du Lust, mich zu begleiten?<< Das war nicht ganz die Wahrheit. An Klamotten mangelte es ihr eigentlich nicht, aber momentan brauchte sie irgendeinen Vorwand, damit Mark und Peggy sich nicht an Ort und Stelle die Köpfe einschlugen. Peggy nickte und stand auf. Sie sah, wie Annika sich mit einem flüchtigen Kuss von Sascha verabschiedete und spürte ein unangenehmes Gefühl im Bauch. Sie würde Mark definitiv keinen Abschiedskuss geben, die Stimmung war so kaputt und die Situation viel zu verfahren. >>Bis später. << fiel daher ihre Verabschiedung reichlich knapp aus, Mark  sah augenscheinlich ungerührt zu ihr hinauf. >>Wann kommst du wieder?<< - >>Keine Ahnung. << Und damit ließ sie ihn zurück, während Annika ihm einen mitfühlenden Blick zuwarf. Sie hatte zwar noch keine Vorstellung von dem, was zwischen den beiden vorgefallen war, doch Peggys kühler Tonfall hatte selbst ihr eine Gänsehaut bereitet. Wie musste es Mark erst gehen! >>Ich melde mich. << murmelte sie noch, ehe sie Peggy nach draußen folgte. Sascha stieß hörbar die Luft aus und sah Mark ein wenig verunsichert an. >>Ich wusste gar nicht, dass Peggy so zickig werden kann!<< - >>Das war noch gar nichts. << antwortete Mark, nahm die Karte in die Hand und schlug die Seite mit den alkoholischen Getränken auf. Ja, ihm stand definitiv der Sinn nach etwas hochprozentigem!

 

 

 

Annika hatte beschlossen, Peggy nicht zu drängen ihr zu erzählen, was der Grund für diesen Streit war. Aber wie sich herausstellte, war das auch gar nicht nötig. Nachdem sie den Weg Richtung Innenstadt eingeschlagen und ein paar Klamottenläden durchstöbert hatten, machte Peggy sich ihrem Ärger Luft und berichtete ihrer Freundin von allem, was in den letzten Stunden geschehen war. Und Annika versuchte mit den aufgeregten Schilderungen Schritt zu halten und nachvollziehen zu können, was das Problem war. >>Das Traurige ist einfach, dass wir genau die gleiche Diskussion vor ein paar Wochen schon einmal hatten. << schloss Peggy und schüttelte ärgerlich den Kopf. >>Außerdem war es seine Idee, dort hinzugehen und der Sache noch eine Chance zu geben! << - >>Vermutlich, weil er gemerkt hat, wie wichtig es dir
ist. << sagte Annika nachdenklich. Sie war sich noch nicht sicher, welche Meinung sie vertreten würde, aber sie kannte ja bislang auch nur eine Version der Geschichte. Es wäre interessant zu wissen, wie Mark das Ganze wahrgenommen hatte, seine Ansicht zu hören. Sie schlenderten ein Stück weiter, bis zum Marktplatz, auf den die Nachmittagssonne wunderbar hinab schien. Viele Menschen wuselten hin und her, trugen Einkaufskörbe in der Hand, oder Handtaschen oder ihre Jacken, die für dieses Wetter viel zu warm waren. Peggy setzte sich auf den Rand des kleinen Springbrunnens in der Mitte des Platzes, und Annika sich neben sie. Eine Weile betrachteten sie die Tauben, die vor ihnen auf dem Boden tippelten und heruntergefallene Brotkrümel und andere Kleinteile aufpickten, die die Leute hier so fallen gelassen hatten.
>>Und was macht ihr jetzt?<< fragte Annika, Peggy hob die Schultern. >>Ich weiß es nicht.<< - >>Das heißt, eure Pläne liegen weiter auf Eis?<< - >>Momentan hab ich überhaupt keine Lust mehr, irgendwas zu planen. << Annika schnappte erschrocken nach Luft und sah ihre Freundin an. Sie stellte alles in Frage? Das konnte unmöglich ihr Ernst sein! >>Du bist echt sauer auf ihn, oder?<< riet sie, Peggy seufzte und legte den Kopf an ihre Schulter. War sie sauer? Oder verletzt? Oder beleidigt? Oder hysterisch? Sie wusste es gerade selber nicht so genau. Sie wusste nur, dass ihr das alles wie ein Stein im Magen lag. Nicht gerade die besten Voraussetzungen.
>>Weißt du eigentlich, dass Timo Sozialstunden bekommen hat?<< wechselte Annika für einen Moment das Thema, Peggy richtete sich auf und sah sie ungläubig an. >>Nur? Das heißt, er läuft weiterhin frei rum? Das kann nicht wahr sein!<< Annika nickte beklommen. Es wäre ihr auch lieber gewesen, wenn Timo für eine Weile hinter Schloss und Riegel verbracht hätte, aber nun war es nicht zu ändern. Peggy fuhr sich erschöpft durch die Haare. Was für ein Tag! Ein Tag, den sie am liebsten ganz einfach aus dem Kalender streichen würde!
Eine Weile noch zog sie mit Annika ein wenig ziellos durch die Stadt. Sie machten mal hier Halt, mal dort und Annika kaufte sich tatsächlich noch eine Jeans und ein T-Shirt. Peggy tat es ihr gleich und ließ ihren Frust ganz typisch in einem Schuhgeschäft zurück. Nun besaß sie zwei paar neue Turnschuhe und drei paar neue High-Heels, die sie unter normalen Umständen vielleicht nie gekauft hätte, heute aber tat es irgendwie gut! Annika hatte sie zum Abschied fest in den Arm genommen und sie beschworen, noch heute mit Mark über alles zu sprechen. >>Es wird immer schlimmer, je länger ihr das mit euch rumtragt. << hatte sie gesagt und Peggy nickte. Sonst war sie immer diejenige gewesen, die ihrer Freundin solche Beziehungstipps gegeben hatte. Irgendwie herrschte zurzeit verkehrte Welt.
Gegen Abend kam sie wieder Zuhause an, außer ihr schien niemand da zu sein. Auch Emelie nicht, denn die durfte heute bei ihrer Freundin übernachten. Das erste Mal in ihrem Leben, und Peggy hoffte, dass sie sich manierlich zeigen und keine Dummheiten anstellen würde.
So herrschte gähnende Leere in der Wohnung, als Peggy die Shoppingtüten an die Seite stellte und ihr Handy zur Hand nahm.
*bin wieder da*
schrieb sie eine Nachricht an Mark, seine Antwort ließ eine Weile auf sich warten.
*okay.*
Peggy presste die Lippen zusammen.
Okay! Nur okay, das war’s? Er schien kein großes Interesse daran zu haben, die Situation zu bereinigen. Sie spürte erneute Wut in sich aufkommen und würde ihm nicht den Gefallen tun zu fragen, wo er war oder wann er nach Hause zu kommen gedachte! Sie hatte auch ihren Stolz, und der war momentan größer als ihre Neugier. Am liebsten würde sie das Handy ganz ausschalten, doch nach der Erfahrung während seiner Reise nach Prag schaffte sie das dann doch nicht. Also stellte sie lediglich den Ton aus, ging in Marks Arbeitszimmer und klappte ihren Laptop auf, der bei ihm auf dem Schreibtisch stand. Sie musste dringend anfangen, ihre Hausarbeit über das Praktikum zu schreiben, denn allzu viel Zeit blieb ihr bis zur Abgabe nicht mehr. Während ihr Laptop hochfuhr, fiel ihr Blick auf das kleine gerahmte Foto, das auf der Ecke stand. Es zeigte sie und Mark bei irgendeinem Ausflug, der allerdings schon einige Jahre her schien. Peggy versuchte sich zu erinnern, ob zu dem Zeitpunkt überhaupt schon jemand von ihnen wusste. Damals war alles so anders gewesen. Auf der einen Seite so kompliziert und schwer, andererseits aber auch so leicht und kribbelnd. Irgendwie hatten sie es schon mal besser verstanden, mit ihren Problemen umzugehen. Peggy schluckte gegen den Kloß in ihrem Hals an und stellte das Bild rasch zur Seite. Nein, sie wollte jetzt auf keinen Fall sentimental werden! Das konnte sie sich nicht leisten. Und so riss sie sich zusammen und machte sich an ihre Aufgabe.

 

Es war weit nach Mitternacht, als Peggy plötzlich hochschreckte und einen Moment brauchte, um sich zu orientieren. Sie musste am Schreibtisch eingeschlafen sein, ihr Schreibdokument war jedenfalls noch auf dem Laptop geöffnet und die Akkuanzeige leuchtete rot. Schnell speicherte sie ihre Ergebnisse ab und schaltete das Gerät aus. Dann streckte sie sich und ein feiner Schmerz durchzog ihren Rücken. Das kam sicher von dieser gekrümmten Haltung, mit der sie hier halb auf dem Tisch gelegen hatte. Zeit fürs Bett! Da vernahm sie einige Geräusche aus dem Flur und ging ihnen nach. Sie traute ihren Augen kaum, als ein merklich angetrunkener Mark durch die Tür gekommen war und Mühe hatte, sich gerade zu halten. Er lehnte sich ein wenig erschöpft an die Wand und lächelte schief, als er Peggy erkannte.
>>Hey, schöne Frau! Du bist ja noch
wach. << - >>Ja. Und du betrunken. << antwortete Peggy, sie konnte es bis hier her riechen! Mark grinste erneut und kam auf sie zu. Er streckte die Hand aus und streichelte flüchtig über ihre Wange. Seine Bewegungskoordination ließ allerdings deutlich zu wünschen übrig.
>>Gehen wir noch aus?<< murmelte er, doch Peggy schüttelte den Kopf. >>Nein, wir gehen ins Bett. << - >>Auch gut!<< Mark zog sie dicht an sich heran, doch Peggy gelang es rasch, sich aus seiner Umarmung zu befreien. Dieser Alkoholgeruch war wirklich nur schwer zu ertragen. Sie schob ihn von sich und geleitete ihn ins Schlafzimmer, in dem Mark sich auf das Bett fallen ließ und sie mit glasigen Augen ansah.
>>Ich hasse es, wenn wir uns streiten. << - >>Ja. Ich auch. << erwiderte Peggy und nahm ihm die Armbanduhr ab. >>Aber lass uns da jetzt nicht drüber reden, ja? << - >>Wieso nicht?<< - >>Weil du in diesem Zustand sicher keinen klaren Gedanken fassen kannst. << - >>Ich bin in keinem Zustand!<< wehrte sich Mark und erhob sich mühsam. Mit einer schnellen Bewegung hatte er sich aus dem Hemd befreit und warf es auf den Boden. >>Ich kann’s dir beweisen. << flüsterte er, doch die Kräfte verließen ihn schon wieder und er fiel rücklings auf das Bett zurück. Peggy musste beinah Lachen. Es war ein zu komischer Anblick! Komisch, und irgendwie heiß wie er da so lag, mit freiem Oberkörper und den zerzausten Haaren! Aber Sex war das Letzte, was jetzt in Frage kam! Zumal Mark eh schon beinah eingeschlafen war, seine Atemzüge gingen immer langsamer und seine Augen waren geschlossen.
Seufzend hob Peggy das Hemd vom Boden auf und wollte es schon zur Schmutzwäsche legen, als sie plötzlich stutzte. Sie hatte einen eigenartigen Geruch wahrgenommen und blickte irritiert auf das Kleidungsstück in ihrer Hand. Sie hielt es hoch und schnupperte daran. Augenblicklich wurde ihr schlecht. Parfum! Eindeutig! Und zwar nicht ihres! Es war ein fremder, süßlicher Geruch, der ihr nun dröhnend in der Nase saß. Sie schluckte und atmete tief durch. Beruhig dich, ermahnte sie sich eindringlich und verdrängte sofort die düsteren Gedanken, die ihr in den Kopf kamen. Beruhig dich, Dafür gibt es tausend logische Gründe. Auch wenn ihr im Moment nicht ein einziger davon einfallen wollte. Schnell faltete sie das Hemd zusammen und erneut drehte sich ihr der Magen um, als sie rot verwischte Spuren am Kragen bemerkte. Vorsichtig strich sie mit dem Daumen darüber, die Farbe verwischte noch mehr. Lippenstift! Peggy starrte die Flecken fassungslos an und abermals drang der Parfumgeruch zu ihr durch. Dann sah sie zu Mark hinüber, der mittlerweile tief und fest eingeschlafen war und nichts von all dem mitbekam, was gerade in ihr vorging. Das waren eindeutige Spuren! Spuren einer anderen Frau! Einer Frau, die ihm offenbar sehr nah gekommen war.
>>Ist das dein Ernst?<< flüsterte sie, während die Tränen schon in ihren Augen brannten und ihre Beine zu zittern begannen. Und plötzlich schien das Hemd in ihrer Hand unendlich schwer!