Die Nachhilfestunde 81: nächtlicher Schrecken

Am nächsten Morgen wurde Peggy von sanften Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht geweckt. Es war wunderbar so aufzuwachen. Ohne Wecker und ohne Hektik. Sie fühlte sich wie neugeboren und herrlich ausgeschlafen! Zufrieden räkelte sie sich und tastete automatisch mit der Hand zur anderen Bettseite, die sich merkwürdig leer und kühl anfühlte. Irritiert schlug sie die Augen auf und fand sich allein im Schlafzimmer wieder. Seltsam. Hatte Mark nicht gestern noch gesagt, er hätte heute ebenfalls einen freien Tag? Seine Sportsachen lagen unberührt auf dem Stuhl, also konnte er auch nicht joggen gegangen sein. Peggy rappelte sich ein wenig mühsam auf, legte sich ihren Morgenmantel über die Schultern und machte sich auf die Suche.
Im Arbeitszimmer wurde sie schließlich fündig. Mark saß am Schreibtisch und schien irgendwelche Schulunterlagen zu bearbeiten. Er sah kaum hoch, als Peggy in der Tür stehen blieb. >>Hey. << - >>Guten Morgen. << erwiderte er mit einem flüchtigen Lächeln, das Peggy sofort spüren ließ, dass etwas nicht stimmte. Und sie hatte das ungute Gefühl, dass es etwas mit ihrer Abfuhr gestern zu tun haben musste. >>So früh schon fleißig?<< bemerkte sie, Mark nickte und tippte weiter auf seinem Laptop. Es machte Peggy wahnsinnig, dass er sich nicht auf das Gespräch einließ! Doch mit Vorwürfen würde sie jetzt wohl kaum weiterkommen. Sie schlenderte auf ihn zu und legte ihm von hinten die Arme um den Hals. Auf dem Bildschirm erkannte sie Erläuterungen zu irgendwelchen mathematischen Problemlösungen. Sicher für die Schule. >>Wie langweilig. << grinste sie, ihre Hände über seinen Oberkörper streifend, doch Mark hielt sie auf und befreite sich von ihren Berührungen. Damit wusste Peggy, dass ihre Vermutung richtig gewesen war. Er war also wirklich nachtragend? Das war mehr als lächerlich! So lächerlich, dass sie es gar nicht für voll nehmen konnte. Sie ließ ihre Finger durch seine dichten schwarzen Haare gleiten. >>Bist du jetzt wirklich sauer, weil ich dich habe abblitzen lassen?<< fragte sie ruhig und Mark hielt inne. Sauer war das falsche Wort, frustriert traf es besser! Sein Schweigen deutete Peggy als Geständnis und sie beugte sich abermals zu ihm hinab. >>Das ist albern. << flüsterte sie ihm ins Ohr, ging um ihn herum und lehnte sich an den Schreibtisch. Mark warf ihr einen schnellen Blick zu. Peggy trug nur ihre Unterwäsche und diesen roséfarbenen Seidenmantel darüber, der mehr preisgab, als er verdeckte. Ihre langen Haare fielen ihr wild bis über die Brüste, als sie sie mit einer gelassenen Geste zur Seite geworfen hatte. Sie sah aus wie die pure Versuchung! Jung und süß, unschuldig und herausfordernd. Und das schien ihr auch sehr bewusst zu sein, wie sie da so betont lässig stand und ihn mit blitzenden Augen ansah.
>>Also, du hast frei. Und ich hab frei … was machen wir mit dem angebrochenen Tag?<< fragte sie mit weicher Stimme, Mark wurde heiß. Es würde nicht mehr viel fehlen und er würde alle Unterlagen einfach vom Tisch fegen…
>>Wir müssen Emelie gleich fertigmachen, die schläft noch. << erwiderte er so beherrscht wie möglich. >>Und dann könnten wir doch endlich mal unsere Pläne besprechen, oder?<< Peggys Herz machte einen aufgeregten Sprung. Er sprach von der Hochzeit! Ja, heute wäre der perfekte Tag dafür. >>Nichts lieber als das!<< strahlte sie. >>Ich geh schnell ins Bad. << Doch da war Mark schon aufgestanden und hielt sie fest. Auch wenn er Gefahr lief, sich einen weiteren Korb einzuholen, musste er sie einfach küssen! Er legte seine Hände auf ihren Po, hob sie hoch und setzte sie auf den Tisch. Noch einmal sah er sie an, wie sie mit diesen großen Augen zu ihm hinaufblickte. Ihr Atem ging schneller und für einen Moment dachte er daran, es ihr heimzuzahlen und sie jetzt ganz einfach hier sitzen zu lassen.
>>Wird das heute noch was?<< erklang da ihre frech provozierende Stimme und Mark sprang sofort drauf an. Er drückte mit seinem Knie ihre Beine auseinander und legte eine Hand in ihren Nacken. Zum Teufel mit der Rache!
Später lagen sie auf zwei Liegestühlen auf dem Balkon, einen kleinen Tisch mit Wasser und Kaffee zwischen sich und ließen sich die Sonne gefallen. Peggy hatte abermals ihren Notizblock bei sich und notierte eifrig, was ihnen in puncto Hochzeit so alles in den Sinn kam. Es wurde deutlich, dass die Frage nach geeigneten Räumlichkeiten zum Feiern wohl am sinnhaftesten erschien und als nächstes geklärt werden sollte. Dann könnte man auch das Catering abstimmen und schon mal eine grobe Vorstellung davon bekommen, wie die Party einmal aussehen könnte. Im Internet stießen sie auch auf zwei oder drei geeignete Locations, doch als Peggy die Preise für einen Abend Miete sah, wurde ihr ganz anders.
>>Ach du schande! Ich wusste nicht, dass das so teuer ist! << - >>Die lassen sich Hochzeiten ganz schön was kosten. << musste auch Mark zugeben. >>Aber ein bisschen verhandeln kann man immer. << - >>Du vielleicht. Ich bin super schlecht in sowas. << - >>Lass mich das mal machen. << erwiderte Mark siegessicher und startete sogleich eine Email - Anfrage an das Gut, deren Betreiber sich auf seiner Website als wahre Hochzeitsexperten präsentierten. Vielleicht würden sie ja bald schon einen Besichtigungstermin bekommen. Peggy lehnte sich zurück und schloss die Augen. Unweigerlich tauchten Bilder in ihrem Kopf auf, wie sie in einem märchenhaften Brautkleid auf Mark zuging. Über einen langen blumengesäumten Weg würde sie schreiten, die Gäste rechts und links im Spalier platziert, ihr alle bewundernd lächelnd entgegenblickend. Und vorne würde Mark sich zu ihr umdrehen und vor lauter Glück und Freude seine Tränen nicht zurückhalten können. Eine Gänsehaut breitete sich auf ihrem Körper aus und sie seufzte. Es war zu schön….
>>Denkst du an heute Morgen?<< fragte Mark amüsiert, Peggy öffnete die Augen und blinzelte. Heute Morgen…ja, das war auch unglaublich gewesen! So leidenschaftlich, heiß und sexy!
>>Auch. << lächelte sie. >>Aber eigentlich hab ich mir gerade unsere Trauung vorgestellt. << Mark sah sie liebevoll an und gab ihr einen Kuss auf den Handrücken. Er hätte nie für möglich gehalten, sie einmal tatsächlich zu heiraten! Wenn er bedachte, wie das Ganze mal angefangen hatte, als ziemlich gefährliche und waghalsige Affäre, die ihnen jeden Tag hätte um die Ohren fliegen können, was auch beinah geschehen wäre. Aber letztendlich war alles gut geworden, Gott sei Dank! Apropos … >>Sag mal, wie sieht’s denn mit Kirche bei dir aus?<< fragte er vorsichtig. >>Du meinst, eine kirchliche Trauung? Ja, ich glaube, das fände ich sehr schön! << Peggy sah ihn an. >>Und du?<< Mark ließ seinen Blick in die Ferne schweifen und dachte nach. Wenn es nach ihm ginge müsste der ganze kirchliche Zauber nicht unbedingt stattfinden. Er war noch nie wirklich religiös gewesen und er stellte sich eine freie Trauung wesentlich ungezwungener vor. Aber wenn Peggy es so viel bedeutete …
>>Mark! Bist du da?<< rief da von unten eine Stimme zu den beiden hinauf. Sie beugten sich über die Balkonbrüstung und sahen Sascha auf der Straße stehen. Er winkte eifrig hinauf. >>Was ist los?<< rief Mark zurück. >>Wir sind beschäftigt. << fügte Peggy mit scharfem Tonfall hinzu, doch Sascha ignorierte sie geflissentlich.  >>Ich brauche dich mal!<< schrie er noch lauter, Mark warf Peggy einen Blick zu. >>Hat er jetzt dich, oder mich gemeint?<< - >>Na mich ganz bestimmt nicht. << erwiderte sie bitter und schluckte. Erst jetzt bemerkte sie, dass das sich aus dem Weg gehen gar nicht so einfach werden und mit der Zeit auch noch ganz schön weh tun könnte! Seufzend stand Mark auf und gab Peggy einen Kuss. >>Bin gleich wieder da. <<


>>Du erwartest doch jetzt nicht von mir, dass ich dir dabei helfe, Annika rumzukriegen, oder?<< Mark starrte seinen besten Freund ungläubig an. Sascha hatte ihn doch tatsächlich her zitiert und ihm um Mithilfe bei der Vorbereitung eines romantischen Abends gebeten. Essen, Kerzen, Musik … es sollte alles perfekt werden. Nur leider war dieses Terrain komplettes Neuland für ihn. Seine bisherigen Damen hatten nicht viel Wert auf solche Dinge gelegt, bei Annika sah das ganze anders aus.
>>Ich will mich nicht blamieren, okay?<< sagte Sascha. >>Ich will ihr einfach einen bombastischen Abend bereiten. Und du kennst dich doch aus mit diesem ganzen Kitsch. << - >>Also wenn du es ihr als Kitsch verkaufst, ist sie sicher
begeistert. << sagte Mark grinsend und erntete einen missmutigen Blick. Er hob entschuldigend die Hände. >>Was soll ich tun?<< - >>Mir sagen, was sie gerne hat. Welche Musik und wie viele Kerzen?<< - >>Woher soll ich das wissen?! Ich bin mit Peggy zusammen, nicht mit Annika. << entgegnete Mark und sah Sascha mit schiefem Blick an. >>Die würde das übrigens wissen. Als beste Freundin … << - >>Sie wird mir dabei wohl kaum Tipps geben. << brummte Sascha und musste sich eingestehen, dass Peggy ihm irgendwie fehlte. Es war komisch zu wissen, dass der Kontakt momentan so auf Eis lag! Es fühlte sich einfach nicht schön an, aber ändern konnte er daran zurzeit wohl auch nichts. Mark schüttelte den Kopf und stand auf. >>Ich kann dir auch keine Tipps geben. Das musst du schon selber rausfinden. << - >>Und wenn es ihr nicht gefällt?<< Saschas tief besorgter Tonfall ließ Mark aufhorchen. Es schien ihm wirklich ernst zu sein! >>Du hängst dich ja echt rein. << - >>Natürlich! Sie bedeutet mir sehr viel! << Mark rang mit sich und lenkte schließlich ein.
>>Also gut. Lass die roten Rosen weg, das ist wirklich kitschig! Und bloß keine Duftkerzen, den Gestank bekommst du nie wieder aus der Bude! Und ein Streichquartett würde ich jetzt auch nicht unbedingt auflegen. << Sascha hing an seinen Lippen und nickte eifrig, während er versuchte, alles genau zu behalten. Ermunternd schlug Mark ihm auf die Schulter und musste grinsen. Im Gegensatz zu Sascha kam er sich vor wie der Beziehungsexperte schlechthin. >>Packst du schon! Weniger ist mehr, denk dran. Habt ihr eigentlich schon…? << fügte er zögerlich hinzu. Er wusste selber nicht, wo diese Neugier herkam und ob er das wirklich alles wissen wollte, doch Sascha lächelte bereits. >>Natürlich! Willst du Details?<< - >>Bloß nicht!<< hob Mark abwehrend die Hände und trat schnell den Rückzug an. Nein, er wollte keine Details!
Wieder in seiner Wohnung angekommen fand er Peggy noch immer auf den Balkon liegend vor. Sie hatte sich inzwischen ihre Sonnenbrille aufgesetzt und thronte in dem Liegestuhl wie eine Sonnenanbeterin. Und sie schien ihn bemerkt zu haben, ohne dass sie sich umgedreht hatte.
>>Und, was gab’s so dringendes?<< Mark war sich sicher, dass eine ehrliche Antwort nur wieder die Wunden aufreißen würde.
Er setzte sich neben sie und trank schnell einen Schluck Wasser. >>Nicht so
wichtig. << Peggy schob ihre Brille ins Haar und sah ihn an. Mark war wirklich sehr schlecht im Lügen und wenn er ihr etwas vormachte, konnte es nur um Annika gegangen sein. Für einen Moment fragte sie sich, ob sie nachforschen sollte, was Sascha wirklich von ihm gewollt hatte, aber vielleicht war es auch besser, es einfach bleiben zu lassen.
Ihr Handyklingeln unterbrach das Grübeln und sie blickte ein wenig überrascht auf das Display, als sie Annikas Nummer erkannte. Stumm hielt sie Mark das Gerät entgegen. >>Geh ran!<< riet er ihr sanft und Peggy tat wie ihr geheißen. Eine ziemlich kleinlaut wirkende Annika begrüßte sie und sofort bekam Peggy einen Stich ins Herz! Denn neben Sascha vermisste sie auch ihre beste Freundin schmerzlich. Wieso konnte nicht einfach alles wieder gut werden?
>>Wir müssen nochmal mit einander reden, Peggy! << sagte Annika beinah flehend. >>Du fehlst mir! Hast du heute Abend Zeit? Ich würde dich gern ins Spa einladen. So wie früher. << Peggy zögerte. Ja, früher hatten sie häufig Spa-Abende gemacht, hatten sich Beautybehandlungen und Massagen gegönnt und danach gab es meistens noch ein leckeres Essen. Es war jedes Mal ein großes Vergnügen gewesen, aber nun lagen die Karten etwas anders. Gleichzeitig könnte das eine gute Gelegenheit sein, ein wenig reinen Tisch zu machen. Unsicher kaute sie auf ihrer Lippe herum und lenkte schließlich ein.
>>Okay, gerne. Ich hol dich ab, ja?<< - >>Super! 18 Uhr?<< - >>Geht klar. <<
Wenig später legte sie auf und berichtete Mark von ihrer Verabredung. >>Nutz die Chance!<< sagte er eindringlich. >>Und lass nicht wieder die Oberzicke raushängen. << Peggy boxte ihn gegen die Schulter und stand auf. >>Ich geh mal gucken, welchen Bikini ich mitnehme. << - >>Jedenfalls nicht den weißen!<< Mark sah sie warnend an. Der weiße war nämlich viel zu aufreizend geschnitten und, wenn es nach ihm ginge, nur für seine Augen bestimmt. Peggy hob die Schultern und grinste, ehe sie im Haus verschwand. Mark sah ihr kopfschüttelnd nach. Dieses Mädchen! Dann zückte auch er sein Handy und schrieb Sascha schnell eine Nachricht. Die Abendplanung würde er wohl auf Eis legen müssen.  

Der Spa lag ein wenig außerhalb der Stadt, hatte sich aber seit damals kaum verändert, wie Peggy und Annika feststellten. Er war genauso schön und entspannend, wie sie es in Erinnerung hatten. Sie hatten eine herrliche Massage genossen und waren anschließend einige Bahnen in dem warmen Außenbecken geschwommen, aus dem sanfter weißer Nebel in die etwas kühler gewordene Abendluft emporstieg. Nun saßen sie in dem kleinen Bistrobereich und hatten sich die Salatplatte geteilt.
>>Auch wie früher. << sagte Annika und Peggy erwiderte ihr Lächeln. Es war tatsächlich genauso wie damals, als sie jünger gewesen waren. Die Jahre waren vergangen, doch an ihrer Freundschaft hatte sich nicht geändert. Bis heute. Peggy seufzte, inzwischen war ihr der kleine Streit mit Annika fast egal geworden. Aber dennoch musste er aus der Welt geschafft werden.
>>Ich weiß, dass du nicht begeistert von Sascha und mir bist. << sprach Annika das unvermeidliche Thema an. >>Aber es ändert nichts daran, dass ich ihn liebe. Und er mich. << Peggy schob ihren Teller beiseite und versuchte, die aufkommende Bitterkeit in sich zu verdrängen. Liebe! Wie lange waren sie jetzt zusammen? Ein paar Wochen? Doch sie wollte keinen neuen Streit provozieren.
>>Es ist klar, was ich davon halte, aber ich steh euch zwei nicht im Weg. Und ich hab vielleicht etwas überreagiert, tut mir leid. Ich will einfach nicht, dass er dir weh tut, verstehst du?<< - >>Das wird er
nicht. << war Annika sich sicher und lächelte. >>Du müsstest ihn erleben! Er ist wirklich süß. Und er bemüht sich total um mich. << Peggy stützte den Kopf in die Hand und sah ihre Freundin tief an. >>Okay. Ich sehe schon, du bist bereits verloren. << Sie grinste, als Annika rot geworden war.  >>Wie hat Timo denn reagiert?<< Annika schluckte, sie hatte nur gewartet, dass diese Frage kam. Es war ja auch verständlich, dass Peggy wissen wollte, wie er es aufgenommen hatte, doch wenn sie ehrlich war wollte sie dieses Thema ganz schnell verdrängen. Timo war ausgerastet, als sie sich getrennt hatte! >>Er war sauer. << gestand sie leise. >>Und ziemlich verletzt. Ich glaube, er wird da noch lange mit zu kämpfen
haben. << Mitfühlend nahm Peggy ihre Hand. Sie konnte sich gut vorstellen, wie das Ganze abgelaufen war, so traurig wie Annika drein blickte. Zeit, sie wieder aufzumuntern. >>Ich bin für dich da, okay?<< - >>Das heißt, es ist alles wieder gut?<< fragte Annika hoffnungsvoll und Peggy nickte. >>Alles wieder gut! Aber bitte verschon mich mit Details aus eurem Liebesleben. << Sie lachten, griffen nach ihren Weingläsern und stießen darauf an, dass ihre Freundschaft eine weitere Krise unbeschadet überstanden hatte!
Es war schon dunkel, als Peggy und Annika wieder ins Freie traten. Der Parkplatz war beinahe leer, sie waren mit einer der letzten Besucher, denn sie hatten die Zeit im Spa bis zur letzten Minute ausgenutzt und genossen und sich am Schluss wieder genauso gut und unbeschwert verstanden, wie eh und je! Peggy spürte jetzt erst, wie erleichternd das war und auch Annika wirkte fröhlicher als vorhin. Ihr schien der Streit genauso weh getan zu haben. Gähnend zog Peggy ihr Portemonnaie hervor und suchte das Kleingeld für das Auslösen des Parkscheins zusammen. Sie war reif fürs Bett und freute sich bereits jetzt darauf, gleich nur noch ihre Klamotten auszuziehen und zu Mark in die Federn zu krabbeln. Hoffentlich war er noch wach … plötzlich wurde sie an der Schulter herumgerissen und erschrak, als sie ein Gesicht in dem fahlen Licht der Laternen erkannte. Timo stand vor ihnen und grinste schief!
>>Na, netten Abend gehabt?<< säuselte er und Peggy bemerkte die halb leere Wodkaflasche in seiner Hand. >>Was machst du hier?<< fragte Annika mit zitternder Stimme. Irgendwie bekam sie gerade ein ganz ungutes Gefühl. >>Kannst du dir das nicht denken?<< erwiderte Timo und kam ihnen näher, doch Peggy widerstand dem Impuls, zurückzuweichen, sondern schob sich zwischen ihn und Annika, die wie in Schockstarre da stand. >>Lass sie in Ruhe! << warnte sie, doch Timo sah sie nur an. Sein verächtlicher Blick war so beängstigend, dass es Peggy einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte. Im nächsten Moment hatte Timo ausgeholt und seine Hand traf sie an der Wange! Der Schlag war so kräftig gewesen, dass sie Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten. Peggy kniff die Augen zusammen, als sich ein brennend heißer Schmerz auf ihrem Gesicht ausbreitete, der ihr die Luft zum atmen nahm und sie ganz schwummrig werden ließ.
>>Bist du bescheuert? Hör auf mit dem Scheiß!<< schrie Annika, die die Szene fassungslos mit angesehen hatte. Timo wirkte allerdings alles andere als einsichtig, sondern schien sich in seiner Wut nur noch mehr getriggert zu fühlen. Panisch sah Anika sich um, doch da war niemand. Niemand, den sie hätte dazu holen können, keiner, der helfen würde! Sie bekam Angst. Wenn Timo sauer wurde, dann war er nur noch eines: unberechenbar!  

 

Mit konzentriertem Blick fixierte Mark das Schachbrett, das zwischen ihm und Sascha aufgebaut war. Er hob die Augen, sah in Saschas Pokerface und dann wieder zurück auf die Figuren. Nachdem der Plan von einem Abend mit Annika ins Wasser gefallen war, hatte Mark ihn seit langer Zeit mal wieder zu einem Schachspiel überreden können. Meistens verlor er zwar haushoch, doch das machte nichts. Der Spaß stand im Vordergrund. Heute allerdings war Sascha eh nur mit halbem Sinn bei der Sache. Seine Gedanken schweiften ständig zu Annika ab, die sich leider noch immer nicht bei ihm gemeldet hatte. Er hatte gehofft, dass sie ihn nach dem Spa vielleicht noch aufsuchen würde…
>>Konzentrier dich doch mal!<< tadelte Mark ihn, nachdem er eine weitere seiner Figuren aus dem Spiel nehmen konnte. Sascha lehnte sich zurück und sah ihn entschuldigend an. >>Ich mach mir ein bisschen Sorgen um Annika. << gestand er und sah auf die Uhr. >>Es ist fast Mitternacht. << - >>Ja und? Die werden noch was trinken gegangen sein. << wiegelte Mark ab. >>Freu dich lieber, wenn sie sich wieder vertragen. << Insgeheim musste er Sascha zustimmen. Auch ihn beschlich langsam ein seltsames Gefühl, doch er wollte sich nicht verrückt machen. Sicher waren beide wohlauf. Peggy hatte vielleicht einfach vergessen, ihm zu schreiben, was ihr allerdings so gar nicht ähnlich sah. >>Ruf sie doch an. << sagte Mark und wusste selber nicht, ob er Sascha oder sich selbst beruhigen wollte. Sascha sah ihn skeptisch an. >>Ich weiß nicht. Ich bin doch kein Kontrollfreak. << - >>Soll ich es machen?<< bot Mark ihm an, doch Sascha schüttelte den Kopf und nahm sein Handy zur Hand, das im gleichen Moment zu klingeln begann. Erleichtert sah er auf. >>Das ist sie!<< Mark atmete tief durch und nahm einen Schluck aus seinem Bierglas. Na bitte, alles halb so wild! Sicher hatten sie sich in irgendeiner Bar verquatscht und waren nun nicht mehr fähig zum Autofahren.
Mark beobachtete Sascha, der bereits am Hörer hing und ein seltsames Gesicht machte. Peggy kannte zwar ihre Grenzen beim Alkohol, was sie jedoch nicht davon abhielt, sie immer mal wieder zu überschreiten. Sie war zuckersüß, wenn sie ein bisschen angetrunken war, das musste er zugeben. Entweder wurde sie dann besonders anhänglich, oder aber frech und ärgerte ihn. Was ihm davon lieber war wusste er nicht.
>>Annika, beruhig dich. Wo bist du?<< drangen da Saschas panische Worte durch seine Gedanken hindurch und er horchte auf. >>Und Peggy? … ach du scheiße… nein, bleibt wo ihr seid … Wir kommen!<< Er legte auf und Mark starrte ihn an. Das klang nicht gut! Sascha war kreidebleich geworden und fuhr sich mit der Zunge über die staubtrockenen Lippen.
>>Sie sind verletzt. <<