Die Nachhilfestunde 76: without a trace
>>Liebling, bitte! Du musst jetzt schlafen. << versuchte Peggy es nun schon zum hundertsten Mal und legte Emelie in ihr Bettchen zurück. Seit sie wieder Zuhause waren schrie die
Kleine Zeter und Mordio und schien überhaupt nicht einsehen zu wollen, dass es schon reichlich spät für sie war. Dabei fielen ihr die geröteten Augen schon fast zu, sie war definitiv über ihren
Punkt und gerade das machte die Sache jetzt so schwierig.
>>Will ich nicht. << rief sie laut und kämpfte sich wieder von ihrer Bettdecke frei. Peggy beherrschte sich mühsam und atmete tief durch. Sie war selbst hundemüde, und gleichzeitig
hellwach. Auch sie würde nicht schlafen können, jedenfalls nicht bevor Mark nicht wenigstens seinen Kuss von vorhin eingelöst hatte, doch solange Emelie so ein Theater machte, würde daraus nichts
werden.
>>Emelie, ich diskutiere nicht mehr. Es ist spät und jetzt wird geschlafen. << - >>Ups, Mama ist gereizt, hm?<< Mark trat ins Zimmer und berührte sie sanft an der
Schulter. Peggy zuckte zusammen. Sie trug noch immer das schulterfreie Kleid und spürte Marks kühle Hand auf ihrer Haut. Es war wie Feuer und Eis! Und wie gereizt sie war! >>Du darfst mich
gerne ablösen, ich bin mit meinem Latein am Ende. << sagte sie während sie aufstand und Mark an das Kinderbett heranschob, in dem ihre Tochter nach wie vor umherzappelte und ihr kräftiges
Stimmorgan verlauten ließ. Mark setzte sich und nahm sie sanft in die Arme. >>Hey Prinzessin. Was ist denn los? Komm her … << Peggy traute ihren
Augen und Ohren kaum, aber Emelie wurde auf der Stelle ruhiger! Sie kuschelte sich in Marks Schoß und wimmerte nur noch ein bisschen vor sich hin. Fassungslos aber sehr erleichtert schaute Peggy
die beiden an. >>Wie hast du das gemacht?<< fragte sie, doch Mark legte nur einen Finger an die Lippen, Emelie schien tatsächlich einzuschlafen. Peggy war gerührt von diesem Anblick.
Konnte es etwas Schöneres geben, als den Mann den man liebte so zu sehen? Auf Zehenspitzen schlich sie hinaus und begab sich ins Schlafzimmer. Einmal mehr hatte Mark bewiesen, dass er zaubern
konnte!
Wenige Minuten später gesellte er sich zu ihr, sichtlich stolz auf diese Meisterleistung.
>>Sie schläft. << - >>Gott sei Dank. << - >>Dank lieber mir!<< Peggy musste lachen. Manchmal war er wirklich süß! >>Ich glaube, jetzt bist du mir was
schuldig. << sagte Mark und Peggy schluckte. Darüber hatte sie auch schon nachgedacht. Doch so leicht wollte sie es ihm nicht machen. Sie wandte sich ab, setzte sich vor ihren Kosmetiktisch
und bürstete ihre Haare durch. Mark stellte sich hinter sie, sodass sich ihre Blicke im Spiegel trafen. >>Wo waren wir vorhin stehengeblieben?<< - >>Du am Auto und ich an der
Hauswand. << kicherte Peggy und zuckte zusammen, als Mark den Reißverschluss ihres Kleides ein Stück herunterzog. >>Zieh’s aus. <<
Er trat ein paar Schritte zurück und schlüpfte rasch aus der Jeans und seinem Hemd, was Peggy durch den Spiegel bestens beobachten konnte. Wieso sah er eigentlich immer so gut aus? Egal wo, egal wann, immer wieder schaffte er es, sie mit seiner Statur restlos umzuhauen! Sie stand auf und drehte sich um. Sie spürte seine Augen auf ihrem
Körper und wie er darauf wartete, dass sie endlich dieses Kleid loswerden würde. Sie lächelte süß. Showtime, Peggy!
>>Und wenn ich’s nicht tue?<< Provozierend hob sie eine Augenbraue und freute sich über die Nuss, die sie ihm zu knacken gegeben hatte. Sie war sich sicher, dass er das Spiel nicht
mehr lange durchhalten und sie jeden Moment eigenhändig aus diesem Kleid befreien würde. Die Funken zwischen ihnen waren so lodernd, dass die Luft beinah brannte. Tapfer hielt sie seinen Blick
aus und widerstand der Versuchung, ihn anzufassen.
>>Dann behältst du es eben an. << hörte sie ihn und ehe sie irgendetwas erwidern konnte, hatte Mark sie schon hochgehoben und auf das Bett gelegt. Selbst wenn sie es gewollt hätte:
sie war so perplex, dass sie sich nicht dagegen wehren konnte. Mark kniete über ihr, ließ abermals seinen Blick an ihr schweifen. >>Stillhalten! << raunte er noch, bevor Peggy endlich
den ersehnten Kuss auf ihren Lippen spürte und unwiderruflich verloren war!
Am nächsten Morgen beim Frühstück klärte Mark Peggy schließlich darüber auf, wann und auf welche Weise er schon Bekanntschaft mit
Herrn Westermann gemacht hatte und Peggy blieb fast das Müsli im Hals stecken. >>Krass!<< nuschelte sie erschüttert. >>Wieso ist der so gemein?<< - >>Weil er nicht
einsehen will, dass sein Sohn eben keine Glanzleistungen erbringt. << erwiderte Mark. >>Und weil er denkt, mit Geld und guter Herkunft könnte man das ausgleichen. << -
>>Komisch. Zu mir war der so nett!<< - >>Ja, kein Wunder! Dein Ausschnitt war ja auch tief genug. << Peggy ließ den bitteren Spruch unkommentiert, stattdessen dachte sie
darüber nach, ob es unter diesen Umständen wirklich so eine gute Idee war, ausgerechnet ihn mit der Planung ihrer Hochzeit zu beauftragen. Vielleicht wäre es besser, sie würden die Finger davon
lassen, damit es am Ende nicht zu irgendwelchen unschönen Verwicklungen kam.
Mark sah auf die Uhr, es war kurz nach halb 8. >>Ich muss los. Schüler quälen. << Er trank im Stehen seinen Kaffee aus und gab Peggy einen Abschiedskuss. >>Gehst du heute zur
Uni?<< - >>Ich will nicht, aber ich muss. Die Prüfungsergebnisse kommen raus. << Peggy hatte ziemlichen Bammel davor, denn die Klausuren waren alles andere als glänzend
gelaufen. Am liebsten wäre sie einfach wieder ins Bett gegangen, hätte sich die Decke über den Kopf gezogen und wäre nie wieder aufgestanden, aber dass das nicht ging war ihr mehr als klar.
Mit Schrecken las sich Peggy wenige Zeit später ihre Bewertungen durch. Es war viel schlimmer ausgefallen, als sie befürchtet hatte. Christine, ihre neugierige Kommilitonin saß neben ihr in der
Eingangshalle der Universität und beugte sich über die Papiere.
>>Oha. Das sieht nicht so gut aus, oder?<< - >>Ich bin durchgefallen. << korrigierte Peggy sie und stopfte die Unterlagen ganz tief in ihre Tasche. Christine hatte mit
Bestnoten bestanden, sie hingegen war gnadenlos durchgerieselt!
>>Fuck, was mach ich denn jetzt?<< >>Wiederholen, ganz einfach. << antwortete Christine, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. >>Einmal durchgefallen ist
nun wirklich kein Beinbruch! Am besten meldest du dich direkt nochmal für die Prüfungen an. << Peggy stöhnte und fuhr sich mit einer verzweifelten Geste durchs Haar. Die Vorstellung, den
ganzen Stoff noch einmal durchpauken zu müssen war geradezu gruselig! Außerdem wusste sie nicht, wie sie noch mehr lernen sollte, als sie es bislang getan hatte. Das war das einzig Gute an der
unglückseligen Geschichte: sie konnte sich nicht vorwerfen, nicht genug gepaukt zu haben. Lustlos schulterte sie ihre Tasche und machte sich auf zur nächsten Vorlesung. Heute wäre der perfekte
Tag, um das Rauchen anzufangen!
Auch für Mark lief es nicht besser. Soeben hatte er vom Direktor erfahren, dass er bald die Begleitung für eine Kursfahrt übernehmen würde. Natürlich nicht absichtlich, wie Herr Paulsen sofort
klarstellte. Wenn es nach ihm gegangen wäre, wären Kursfahren und Ausflüge sowieso erstmal nicht in Marks Ressort gefallen, aber da er momentan den geringsten Stellenanteil hatte und somit seine
Abwesenheit nur wenig ins Gewicht fallen würde, müsse er nun einen erkrankten Kollegen vertreten und als zweiter Lehrer die diesjährige Abschlussklasse auf ihrer Reise begleiten. Mark war blass
geworden. Wie sollte er das Peggy beibringen? Die würde sicher keine Luftsprünge machen, wenn sie erfuhr, dass sie den Alltag bald eine ganze Woche
alleine schmeißen musste. Er beschloss, die Beichte so schnell wie möglich hinter sich zu bringen und fuhr nach Schulschluss direkt zur Uni. Peggy hatte heute bis nachmittags Vorlesungen und er
würde sie abholen. Auf dem Heimweg könnten sie dann die Angelegenheit sicher besprechen. Er hatte auf dem riesigen, beinah endlosen Parkplatz angehalten, Peggy benachrichtigt und wartete nun
darauf, dass sie aus dem Gebäude treten würde. Viele tausend Studenten wuselten auf dem Gelände durcheinander, jeder irgendwie mit sich selber beschäftigt. Mark beobachtete sie und versuchte
herauszulesen, wer was studierte. Manchen Menschen sah man es sofort an, wie er fand. Jura, Pädagogik, Musik, Medizin … aber vielleicht waren das
auch alles nur dumme Klischees in seinem Kopf. Da klopfte es an die Fensterscheibe und Peggy öffnete die Tür. >>Bring mich bloß hier
weg. << fiel ihre Begrüßung äußerst missmutig aus, Mark grinste. >>Ich freu mich auch dich zu sehen. << - >>Sorry. Hi! <<
Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss und lehnte sich dann erschöpft in ihren Sitz zurück. Mark startete den Wagen und gab Gas. Jetzt nur noch Emelie einsammeln und dann ab nach Hause! >>Ich
hab die Prüfungen nicht bestanden. << brach es irgendwann aus Peggy heraus, nachdem sie eine ganze Weile einfach nur schweigend dagesessen war. Mark bekam einen kurzen Schreck und warf ihr
einen Blick zu. >>Wie, nicht bestanden?<< - >>Durchgefallen! Und zwar krachend. <<
Er atmete tief aus. Das erklärte natürlich ihre schlechte Laune. Tröstend drückte er ihre Hand, er konnte sich denken, wie mies sie sich gerade fühlen musste. >>Ich muss den ganzen Mist
nochmal schreiben, alles nochmal lernen. Ich könnte kotzen!<< - >>Das tut mir echt leid für dich. Du hast doch so viel
gelernt. <<- >>Anscheinend nicht genug. Ich muss jetzt echt jede freie Minute pauken, jeden Tag! Der nächste Versuch muss
klappen. << Mark spürte sein Herz schlagen. Ihm war bewusst, dass sie von ihm hoffte, vielleicht sogar erwartete, er würde ihr in der nächsten Zeit den Rücken freihalten. Und das würde er
ja auch tun, wenn nicht diese blöde Abschlussfahrt dazwischengekommen wäre. Peggy bemerkte seine zurückhaltende Reaktion und sah ihn an. Sie redete mal wieder nur von sich. >>Wie war denn dein Tag?<< - >>Hm, auch nicht viel besser. << gestand Mark. >>Wir müssen was besprechen, wenn wir Zuhause sind,
ja? << - >>Oh, das klingt großartig. << sagte Peggy mutlos und seufzte. Egal, was es war, es würde sie sicher nicht noch mehr runterziehen können.
Das dachte sie jedenfalls. Doch als Mark ihr eröffnete, er würde in der nächsten Woche nicht zuhause sein, war sie endgültig am
Boden. Ausgerechnet jetzt!
>>Glaub mir, ich hab mir das bestimmt nicht ausgesucht. << beteuerte Mark und setzte sich neben sie. Peggy hatte sich eben einfach kraftlos fallen gelassen und starrte vor sich hin.
Sie hatte keine Ahnung, wie sie das alles ohne ihn schaffen sollte. Von ihren nach wie vor offenen Hochzeitsplänen mal ganz abgesehen. >>Wo soll’s denn hingehen?<< fragte sie der Form
halber, ohne so wirklich daran interessiert zu sein. >>Ich glaube
Prag. << - >>Super, du machst dir ein paar schöne Tage und ich gehe hier unter in dem ganzen Chaos. Viel Spaß! Sind bestimmt ein paar junge hübsche Schülerinnen dabei, die weniger
Ballast mit sich rumschleppen als
ich. << Sie stand auf und trat ans Fenster, Mark schaute sie an und wusste, dass er ihre Aussagen momentan nicht für bare Münze nehmen konnte. Sie war einfach sauer, gefrustet, verärgert
und sie hatte Angst, dass ihr alles über den Kopf wachsen würde. Er konnte sie mehr als verstehen! Vorsichtig trat er an sie heran und legte seine Hände sanft auf ihre Schultern. Ob sie momentan
überhaupt Nähe zulassen würde war ungewiss, doch er merkte, wie sie sich unter seiner Berührung etwas entspannte. Sie atmete tief durch und senkte den Kopf.
>>Entschuldige. << Mark hörte ihre Stimme zittern, mit Sicherheit standen ihr gerade Tränen in den Augen. Unvermittelt drehte sie sich um und drückte sich an ihn. Sie schniefte
tatsächlich und klammerte sich an ihn, wie eine Ertrinkende. >>Was mach ich denn ohne dich?<< - >>Ich bin doch nicht aus der
Welt. << versuchte er zu trösten. >>Wir kriegen das hin, ganz bestimmt!<< Peggy hob den Kopf und sah ihn an. Sanft strich er ihr die Tränen von den Wangen. Er hasste es, sie
weinen zu sehen!
>>Du musst mir nur eine Sache versprechen: du gehst auf keinen Fall alleine zu diesem Westermann-Arsch!<< Trotz allem konnte sich Peggy ein leises Lachen nicht verkneifen.
>>Keine Sorge, da werde ich eh keine Zeit für haben.<< Nein, sie würde sich um genug andere Dinge kümmern müssen. Irgendwie machte ihr der Gedanke des plötzlichen Alleine seins ein
ziemlich beklemmendes Gefühl.
Als Mark am darauffolgenden Montagmorgen die Wohnung verließ wurde Peggy tatsächlich ein bisschen mulmig. Es war das erste Mal, dass Mark und sie so lange von einander getrennt waren. >>Ich
melde mich jeden Tag, versprochen!<< hatte er ihr zugesichert und sie so innig geküsst, dass Peggy sich sicher sein konnte, dass ihm der Abschied genauso schwer gefallen war. Auch Emelie
hatte ihm mit großen traurigen Augen nachgesehen, auch wenn sie sicher noch nicht ganz verstand, was gerade vor sich ging. Aber dass ihr Papa nun einige Zeit nicht da sein würde, schien doch bei
ihr anzukommen.
Peggy seufzte und blickte in den großen Spiegel im Flur. Nun lag also eine Woche vor ihr. Sieben lange Tage. Sieben Tage, in denen sie alles unter einen Hut bekommen musste: Kind, Haushalt,
Lernen, Uni. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. >>Meine Güte, hör auf mit der Jammerei!<< rief sie ihrem ziemlich kläglich aussehenden Spiegelbild zu. >>Du packst das! So
viele Frauen stehen ganz alleine da, und das jeden Tag! Beweis es dir und ihm, dass du stark bist! << Sie atmete tief durch und hörte in sich hinein. Tatsächlich glaubte sie, schon ein
bisschen optimistischer geworden zu sein. Wer hätte gedacht, dass die bislang gelernten Psychologietricks so schnell Anwendung finden würden? Klar
würde sie das schaffen, mit links sogar! Sie war doch kein naives Ding mehr! >>Emelie, komm! Kindergarten! << - >>Neeeein!<< kam es lautstark aus dem Nebenzimmer und Peggy
zuckte zusammen. Da war sie schon, ihre erste Bewährungsprobe.
>>Wie, Mark ist weg? Was soll das heißen? << erklang Annikas aufgeregte Stimme aus dem Handy und Peggy hielt es ein Stück weiter weg, um keinen Gehörschaden zu erleiden. Nachdem sie
Emelie in den Kindergarten gebracht hatte und zur Uni gefahren war, hatte sie feststellen müssen, dass ihre Vorlesungen alle gecancelt worden waren. Zunächst war sie ziemlich verärgert gewesen
über diese Zeitverschwendung. Andererseits hatte sie so unverhofft einen freien Tag gewonnen und sie beschloss, das Beste daraus zu machen. Gerade als sie auf dem Rückweg nach Hause war, hatte
Annika angerufen.
>>Beruhig dich, es ist nur eine Woche. << erklärte Peggy. >>Er musste bei einer Kursfahrt einspringen. Ging nicht anders. << - >>Oha, okay. Und jetzt bist du ganz
alleine? Ist dir nicht langweilig?<< - >>Langweilig? Ich hab Emelie, den Haushalt und den blöden Unikram an der Backe! Mein Tag ist mehr als ausgefüllt! << - >>Verstehe.
Soll ich dir helfen?<< Peggy blieb mitten in der Fußgängerzone stehen und dachte nach. Der Gedanke war ihr noch gar nicht gekommen. >>Wie meinst du das?<< ->>Wenn du
willst, komme ich später vorbei und helfe dir beim Babysitten, oder putzen, oder kochen, oder was auch immer du zutun hast. Heute Vormittag kannst du in Ruhe lernen und später machen wir uns
einen hübschen Frauenabend zu zweit. Oder zu dritt, wie auch immer. << Annika lachte und Peggy dankte dem Himmel für diese gute Freundin! Das klang nach einem fantastischen Plan!
Annika hatte dann sogar noch angeboten, Emelie vom Kindergarten abzuholen, doch das erledigte Peggy lieber selbst. Sie wusste ja, wie schwer es manchmal war, die Kleine zum Mitkommen zu überreden
und das wollte sie ihrer Freundin wirklich nicht zumuten.
*wie läuft es bis jetzt? Kommt ihr gut durch? Liebe dich*
tickerte sie rasch an Mark, als sie wieder zuhause war. Bislang hatte er sich nur heute Morgen gemeldet, als er und der Kurs losgefahren waren, aber Peggy war klar, dass er nicht ununterbrochen
am Handy daddeln konnte. Schließlich war er Lehrer und Vorbildfunktion für die wahrscheinlich eh schon smartphonesüchtigen Jugendlichen. Sie hatte noch schnell eingekauft und begann gerade mit
dem Auspacken, als es an der Tür klingelte.
>>Annika, komm rein. Oh man, es ist so schön, dass du Zeit hast!<< begrüßte Peggy ihre beste Freundin herzlich, diese lächelte ebenfalls. >>Ich freu mich auch. Wir hatten schon
viel zu lange keine Mädchen-Qualitytime mehr. Ohne die Männer!<< Sie betrat hinter Peggy die Küche. >>Was macht dein Göttergatte? Schon angekommen?<< - >>Nee, das dauert
noch. Gegen Abend sollten sie da sein. << Peggy blickte auf ihr Handy, immernoch keine Nachricht. Schade. Unterdessen inspizierte Annika die Einkaufstüten. >>Was soll’s denn
geben?<< - >>Keine Ahnung. Ich hab einfach alles gekauft, was mir in die Finger kam. << gestand Peggy und stützte die Hände in die Hüften. Annika nickte. >>Auch gut. Uns
wird schon was einfallen. << Peggy atmete tief durch. Sie merkte wie gut es tat, dass Annika da war. Ihre unbeschwerte Art war ansteckend. Bislang war der Tag recht glatt gelaufen, aber es
war einfach schön zu wissen, dass sie doch nicht so alleine dastand, wie befürchtet. >>Hab ich dir schon mal gesagt, dass ich dich echt lieb habe?<< Annika lächelte dankend, breitete
die Arme aus und drückte Peggy fest an sich.
Später saßen sie dicht nebeneinander im Wohnzimmer auf der Couch, hatten die große Kuscheldecke über sich gebreitet und genossen es, einfach mal ungestört typischen Frauenkram besprechen zu
können. Nachdem sie gegessen und die Küche wieder aufgeräumt hatten, hatten sie noch eine Weile mit Emelie gespielt und sogar noch eine Runde im Park gedreht. Das zu Bett bringen war auch heute
Abend wieder ein wenig komplizierter geworden, doch sie hatten es geschafft und sich nun zur Belohnung eine Flasche Wein geöffnet. >>Wenn du lieber lernen willst, kann ich auch gehen.
<< sagte Annika ernst, doch Peggy verneinte. >>Du hast mich so gut unterstützt heute und dir den Wein mehr als verdient. Prost!<< - >>Prost!<<
Die Weingläser klirrten leise aneinander und Peggy nahm einen großen Schluck. Es war wirklich schön, dass Annika da war. Sie hatte den Eindruck, dass sie jetzt, wo Mark nicht jeden Moment durch
die Tür spazieren konnte, wesentlich lockerer und ungezwungener war. Aber sie wollte sie nicht darauf ansprechen.
>>Wie läuft’s mit Timo?<< fragte sie stattdessen, Annika wiegte den Kopf hin und her. >>Mal so, mal so. In letzter Zeit haben wir uns eigentlich nur gestritten. << -
>>Wieso?<< - >>Meistens wegen irgendwelcher Kleinigkeiten. << verdrehte Annika die Augen. >>Dabei wohnen wir noch nicht mal zusammen. Wie soll das dann erst
werden?<< - >>Hauptsache, ihr redet
drüber. << sagte Peggy eindringlich. Nichts war schlimmer, als Probleme einfach totzuschweigen, denn irgendwann traten sie sowieso an die Oberfläche und dann waren sie meistens noch mehr
gewachsen. >>Ich weiß, das versuchen wir auch. Und dann ist auch schnell alles wieder gut. << - >>Und dann gibt’s Versöhnungssex, richtig?<< riet Peggy grinsend, ihre
Freundin zögerte. >>Manchmal, aber nicht immer. Wie ist das bei euch?<< Peggy zögerte ihre ehrliche Antwort preiszugeben, dass dafür gar kein Streit nötig war. Über mangelndes
Sexleben konnte sie sich wirklich nicht beklagen, im Gegenteil! Bei diesen Überlegungen wurde ihr warm und sie nahm schnell noch einen Schluck Wein. Das war Annika Antwort genug.
>>Verstehe. Geht mich auch nichts an. << - >>Wollen wir Mark ein Foto schicken?<< schlug Peggy vor und zückte abermals ihr Handy. Plötzlich hatte sie das Bedürfnis ihm zu
zeigen, dass es ihr gut ging, dass sie zurecht kam und er sich nicht schlecht fühlen musste. Ein wenig unsicher setzte Annika sich auf. >>Meinst du echt?<< - >>Ach klar, der
freut sich. << Sie rückte näher an ihre Freundin heran und setzte ihren schönsten Kussmund auf, während Annika so locker wie möglich in die Kamera grinste. Sie hoffte, dass sie neben Peggy
nicht allzu sehr unterging und Mark sich tatsächlich freute, sie zu sehen.
>>Komisch, das Bild geht gar nicht raus. << murmelte Peggy und schaute irritiert auf ihr Display. >>Nicht raus?<< - >>Es wird nicht zugestellt. Vielleicht ne
Netzstörung. << vermutete Peggy und verdrängte rasch das ungute Gefühl, das in ihr aufkam. Das passierte immer, wenn sie länger keinen Kontakt zu Mark bekam und fast immer war es Unsinn.
Aber besonders jetzt fühlte es sich an, als wäre Mark spurlos verschwunden.
>>Oder sie sind an der Grenze. Da ist auch manchmal die Verbindung gestört. << sagte Annika leichthin, Peggy nickte und legte das Handy beiseite. Sie hatte recht! Dann griff sie zur
Fernbedienung. >>Film?<<->>Immer!<<
Sie schaltete den Apparat ein und zappte sich durch die Programme, als Annika sich plötzlich in ihren Arm krallte. >>Oh, Dirty Dancing! Das macht unseren Frauenabend perfekt!<< Peggy
lachte und gab sich sofort geschlagen. Okay, Dirty Dancing also. Die gerade noch aktive Werbepause nutzte sie um in die Küche zu huschen und schnell noch eine Tüte Chips aus dem Regal zu angeln.
Schon wieder saß der kleine Diätteufel auf ihrer Schulter und musste Tadel verteilen, doch auch heute ignorierte Peggy ihn gekonnt. Da vibrierte ihr Handy. Endlich! Schnell zog sie es hervor,
doch es war nicht Mark, sondern Sascha, der ihr eine Nachricht geschickt hatte.
*bist du noch wach???*
*ja.*
*mach den Fernseher an, Nachrichten!*
Peggy las die Zeile wieder und wieder und wurde doch nicht
schlauer aus ihr. Was bezweckte Sascha mit dieser kryptischen Andeutung? Langsam ging sie ins Wohnzimmer zurück, warf Annika die Chipstüte zu und befolgte seufzend Saschas Bitte.
>>Sorry, Sascha hat mir grad was geschickt … << erklärte sie Annika halblaut und blickte auf den Bildschirm. Ein ziemlich desolater Reisebus, der offenbar in den Gegenverkehr geraten
war prangte riesig auf dem Titelbild des Nachrichtensenders. Daneben mehrere Rettungswagen, Sanitäter und Feuerwehrleute, Blaulicht. Peggy wurde speiübel! Hektisch stellte sie den Ton lauter und
brauchte all ihre Konzentration, um genau zuhören zu können, was der Sprecher gerade berichtete.
>>… hat ein Reisebus aus Deutschland nahe der tschechischen Grenze offenbar die Kontrolle verloren und ist beinahe ungebremst auf die Gegenspur geraten und
mit einem Schwertransporter zusammengeprallt. Ob und wieviele Überlebende es gibt, ist bislang noch nicht bekannt. Nach jetzigem Kenntnisstand befanden sich zwei Lehrer und eine Schulklasse in
dem Bus.<<
Annika sprang auf, stellte sich neben Peggy und starrte mit offenem Mund auf den Fernseher. Dann sah sie ihre Freundin an, die totenblass geworden war und so
verzweifelt drein schaute, dass Annika unweigerlich die Tränen in die Augen schossen!