Die Nachhilfestunde 93: ein guter Freund

Und es wurde eine spannende Woche, allerdings in einem anderen Sinne, als Peggy sich das vorgestellt hatte. Denn seit dem Emelie in den Kindergarten ging, hatte sie öfter als es lieb war irgendwelche Infekte mit nach Hause geschleppt. Husten, Schnupfen, Halsschmerzen. Alles, was es eben so gab und was Kinder in dem Alter nur allzu gerne austauschten.
Zum Glück schien sie mit einem starken Immunsystem gesegnet zu sein, sodass sie alles meist recht schnell und unbeschadet überstand. Dafür hatte es nun Mark erwischt. Und zwar richtig! Eine Sommergrippe vom Allerfeinsten! Schon den dritten Tag lag er nun flach und Peggy konnte sich nicht erinnern, ihn jemals so abgekämpft erlebt zu haben. Gequält schaute er sie an, während sie neben ihm an der Bettkante saß und eigentlich gerade zur Uni aufbrechen wollte, bei seinem Anblick aber leichte Zweifel bekam.
>>Geh nur. << sagte er angestrengt. >>Lass mich hier zurück. Ich sterbe sicher bald. << - >>So schnell stirbst du
nicht. << kicherte Peggy und gab ihm einen zarten Kuss auf die erhitzte Stirn. Sein Fieber war besonders hartnäckig! >>Brauchst du noch irgendwas?<< Mark schüttelte langsam den Kopf und schloss die Augen. Jede Bewegung tat weh!
Die Kopfschmerztablette, die er anstelle eines Frühstücks vorhin eingenommen hatte, schien nicht das Geringste bewirkt zu haben.
Peggy erhob sich vorsichtig und schulterte ihre Tasche. >>Okay, dann gehe ich jetzt. Ich hab mein Handy an. Melde dich, wenn was ist, ja?<< Zur Antwort hob Mark zwei Finger in die Luft und Peggy grinste. Es ging ihm dreckig, keine Frage. Aber ein wenig Theatralik war wohl auch mit von der Partie.
In der Uni angekommen saß Peggy nun auf einer der unzähligen Sitzbänke in der Eingangshalle und klappte ihren Laptop auf, den sie auf ihren wackeligen Knien balancierte. Mit nervösen Fingern loggte sie sich auf der Onlineplattform ein, auf der, wie sie und ihre Kommilitonen in der Vorlesung gerade erfahren hatten, die Ergebnisse der Hausarbeit über ihr Praxisstudium veröffentlicht worden waren. Es dauerte wie immer ewig, bis sich die Seite aufgebaut hatte und Peggy knabberte angespannt an ihren Fingernägeln. Natürlich wollten jetzt alle zeitgleich nachschauen und ihre Noten erfahren, sodass das Netz wahrscheinlich noch mehr überlastet war, als ohnehin schon. Sie sah sich um. In der einen Ecke erkannte sie schon die ersten freudestrahlenden Gesichter, gleich daneben Ausdrücke purer Enttäuschung. Zu welcher Gruppe sie wohl gleich gehören würde? Endlich war die Seite vollständig geladen und Peggys Augen flogen suchend über den Bildschirm. Es dauerte eine Weile, bis sie ihren Namen in der endlos wirkenden Liste aller Prüflinge gefunden hatte. Sie klickte ihn an und sah es sofort: das kleine grüne Häkchen, auf das sie so sehr gehofft hatte: bestanden! Sie atmete erleichtert auf. Sehr gut, das war schon mal die Hauptsache! Ein weiterer Klick und sie konnte ihre Note einsehen. Begeistert schlug sie sich die Hand vor den Mund und musste zwei Mal hinsehen. Da stand tatsächlich eine Eins vor dem Komma! Wow!
>>Na, zufrieden?<< stieß sie da jemand in die Seite und Peggy schaute auf. Christine hatte sich neben sie auf die Bank fallen lassen und stielte sofort auf den Laptop. Dann stieß sie einen anerkennenden Pfiff aus. >>Gratuliere! Und willkommen im Club. << Natürlich musste sie ihre 1,0 direkt präsentieren, aber das störte Peggy nicht. Sie war einfach unendlich glücklich und erleichtert, dass es scheinbar wieder bergauf ging mit ihren Leistungen. Schnell tippte sie eine Nachricht mit den guten Neuigkeiten an Mark, auch wenn sie wusste, dass er es wahrscheinlich nicht lesen würde. Sicher lag er nach wie vor wie ein sterbender Schwan im Bett und schlief.
Den ganzen restlichen Tag dachte sie darüber nach, wie sie ihn ein wenig aufheitern konnte. Das tat sie auch noch, als sie nach ihren Vorlesungen durch die Stadt spazierte und in die Schaufenster guckte. Irgendwas würde sie ihm gerne mitbringen wollen. Aber was? Etwas zu essen brauchte es jedenfalls nicht zu sein, denn die Übelkeit plagte ihn beinah durchgehend. Peggy war so in Gedanken, dass sie beinah mit einem jungen Mann zusammengeprallt wäre, den sie erst auf den zweiten Blick erkannte.
>>Alex, hi. Und entschuldige, ich hab dich nicht gesehen. << - >>Ja, hab ich gemerkt. << erwiderte dieser und rieb mit gespieltem Schmerz seine Stirn. Dann grinste er. >>Schön, dich zu sehen!
Was machst du?<< - >>Ach, nur ein wenig durch die Gegend bummeln.
Mark ist krank und ich wollte ihm gerne was mitbringen. << - >>Oha. Männerschnupfen?<< - >>Schlimmer. << lachte Peggy. >>Ich glaube, ihn hat’s wirklich erwischt. Oder er kann verdammt gut schauspielern. << - >>Lust auf ein kleines Essen? Ich lad dich ein. <<
Peggy brauchte einen Moment, um mit diesem abrupten Themenumschwung mitzuhalten. Sie zögerte und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Eigentlich musste sie gleich Emelie abholen, andererseits wäre für einen kleinen Imbiss dennoch genug Zeit. Alex bemerkte ihre Unsicherheit und verdrehte die Augen. >>Keine Sorge. Das ist kein Date. << - >>Nicht? Wie schade. << entgegnete Peggy frech und streckte ihm die Zunge raus.

 

So saßen sie wenig später in dem kleinen Fast Food Bistro, das Peggy wegen seiner herrlich ungesunden Gerichte leider liebte und auch heute den Pommes nicht widerstehen konnte.
>>Eigentlich bin ich auf Diät. << seufzte sie und fing sich einen reichlich verwirrten Blick von Alex ein, der ihr an dem kleinen Tisch gegenüber saß. >>Du? Willst du mich verarschen?<< - >>Naja, keine wirkliche Diät. Aber ich wollte nicht mehr so viel ungesunde Sachen essen. <<
Noch während sie sprach, riss sie das Tütchen mit der Mayonnaise auf und verteilte diese großzügig auf ihrem Teller. Alex konnte sein Grinsen nicht verbergen. >>Was gibt’s neues bei dir?<< fragte er rasch und machte sich sogleich über seinen Burger her. Peggy kaute gedankenverloren und zuckte die Schultern. >>Nicht viel. Außer, dass Marks Mutter zu Besuch ist und am liebsten jeden Tag bei uns wäre. << - >>Und? Wie ist die so?<< - >>Naja, nicht direkt unfreundlich. Aber beste Freundinnen sind wir nicht und werden es wohl auch nie. Ich weiß nicht, ich hab das Gefühl, sie mag mich nicht besonders. << - >>Klingt schwierig. << erwiderte Alex. >>Aber sie kann doch gar keine bessere Schwiegertochter bekommen. << - >>Danke für die Blumen. << - >>Wie läuft’s mit der Hochzeitsplanung?<< schwenkte Alex erneut um und Peggy senkte den Blick. Dieses Thema hätte sie lieber vermieden, aber Alex konnte ja nicht wissen, dass es ein heißes Eisen war.
>>Die liegt auf Eis. << antwortete sie, er bekam große Augen. >>Was soll das denn heißen? Sag bloß, dein Mark hat einen Rückzieher gemacht. << - >>Quatsch! Aber wir haben beschlossen, es einfach ein bisschen langsamer anzugehen. << versuchte Peggy sich zu erklären, ohne allzu viele Details aus ihrem und Marks Privatleben preiszugeben. Von ihrer Krise und dass sie um ein Haar abgehauen wäre, brauchte Alex nun wirklich nicht zu erfahren. Und er war zum Glück taktvoll und empathisch genug, um nicht weiter nachzubohren, sondern es dabei zu belassen.
>>Cool, dass wir uns getroffen haben. << sagte er stattdessen. >>Und uns nach all den Jahren noch so gut verstehen. << - >>Ja, finde ich auch. << lächelte Peggy und bemerkte seinen intensiven Blick, mit dem er sie schon die ganze Zeit betrachtete. Er schob sein Tablett mit dem Burger zur Seite und beugte sich ein wenig vor. >>Ich war damals ganz schön verknallt in dich. << Peggy schluckte den letzten Bissen hinunter und sah Alex ein wenig entgeistert an. Mit diesem Geständnis hatte sie nicht gerechnet.
Er zwinkerte ihr zu. >>Hab ich dir nur nie gesagt, weil ich Schiss hatte, dass du dann nichts mehr mit mir zutun haben willst. << - >>Ja, ich überlege auch gerade, ob ich nicht besser die Flucht ergreife. << scherzte sie. >>Aber meine Eltern hätten sich sicher über uns gefreut. << - >>Meine auch. << nickte Alex und Peggy dachte an seine Mutter und seinen Vater zurück, die sie in sehr guter Erinnerung behalten hatte. Es waren unheimlich nette Menschen gewesen, bei denen sie immer willkommen war! Sie hatten eine tolle Zeit gehabt!
>>Was ist denn mit dir?<< wollte nun Peggy ihrerseits wissen. >>Hast du ne Freundin?<< Diese Frage war ihr schon bei ihrem letzten Treffen auf der Geburtstagsfeier ihres Vaters durch den Kopf gegangen, doch sie hatte sich nicht recht getraut, es anzusprechen.
Alex lehnte sich in seinem Stuhl zurück. >>Bis vor kurzem noch, ja. << antwortete er scheinbar gelassen. >>Aber das ist vorbei. << - >>Tut mir leid. << - >>Muss es nicht. Ich genieße jetzt mein Singleleben!<< Peggy nickte wissend. Wie das aussah konnte sie sich denken. Alex ließ sicher nichts anbrennen. >>Für dich sind diese Zeiten ja nun endgültig Geschichte, jetzt wo du bald verheiratet bist. << stichelte er. >>Du wirst dich noch nach den wilden Jahren zurücksehnen. << Seufzend verdrehte Peggy die Augen und schüttelte den Kopf. Spinner!
Da klingelte ihr Handy und sie wischte sich flüchtig ihre fettigen Finger an der Papierserviette ab, ehe sie den Anruf entgegennahm. Alex beobachtete sie, während sie telefonierte und plötzlich irgendwie besorgt wirkte. Ihre Wangen waren ganz blass geworden und ihre Augen geweitet. Ein wenig aufgebracht fuhr sich mit der Hand durch die langen Haare, die noch genauso eindrucksvoll waren, wie damals. Ein Lächeln überflog sein Gesicht. Sie war wirklich verdammt hübsch … noch hübscher als damals.
>>Ich muss los. << sagte Peggy nervös, als sie schließlich aufgelegt hatte. >>Ich muss Emelie abholen. Sie hat sich beim Spielen in der Kita verletzt. << - >>Wer ist Emelie?<< - >>Meine Tochter. <<
Alex hob überrascht die Augenbrauen. Dass sie ein Kind hatte war ihm neu!
>>Oh shit. Schlimm?<< - >>Das weiß ich nicht, ich muss auf jeden Fall sofort zu
ihr!<< Hektisch griff sie nach ihrer Handtasche und sprang auf, während Alex die Tabletts zusammenstellte und sich ebenfalls erhob. >>Ich fahr dich. << Peggy schaute ihn gleichermaßen überrascht, wie dankbar an.
>>Wirklich?<< - >>Na klar! Mein Auto steht nicht weit weg. Komm!<<
Während der kurzen Fahrt zum Kindergarten versuchte Peggy Mark anzurufen, doch wie zu erwarten war, bekam sie ihn nicht an die Strippe. So musste sie ihm per Kurzmitteilung erklären, was passiert war, obwohl sie das selber noch nicht so genau wusste. Die Erzieherin hatte nur irgendwas vom Klettergerüst erzählt, von einer viel zu mutigen Emelie und von einer kleinen Platzwunde am Kopf. Peggy spürte wie ihr Magen sich verkrampfte. Hoffentlich war es nicht allzu schlimm!
Als sie endlich angekommen waren, war Peggy schon aus dem Auto gestürzt, noch bevor Alex überhaupt richtig geparkt hatte. Er sah ihr nach, wie sie auf das Gebäude zulief und beschloss, besser hier zu warten. Da drinnen würde er jetzt sicherlich überflüssig sein. Er stellte das Radio an, griff nach seinem Handy und überflog seine neusten E-Mails. Sein Chef hatte ihn mal wieder mit Arbeit bombardiert. Das konnte er ziemlich gut! Er brauchte die Gewissheit, dass alles seinen Gang ging und er als sein Assistent bekam daher mehrmals täglich irgendwelche Aufträge zugewiesen.
Aber es machte ihm nichts aus, im Gegenteil. Er war froh, sich damals gegen seinen Vater durchgesetzt und das Architekturstudium beendet zu haben!
Das passte jedenfalls tausend Mal besser zu ihm als Medizin. Alex schaute auf, von Peggy war noch nichts zu sehen. Ihr war es damals ähnlich ergangen. Auch sie hatte sich gegen ihre Eltern behaupten müssen, und das nicht nur in Bezug auf ihre Berufswahl! Alex wusste, dass sie es Zuhause nicht immer leicht gehabt hatte. Er kannte Natascha und Frank und ihre hohen Erwartungen an die Tochter! Und er hatte schon damals geahnt, dass sie, wenn überhaupt, nur ihn als einen festen Freund akzeptiert hätten. Aber wie so oft im Leben war nun mal alles ganz anders gekommen. Peggy hatte sich in Mark verliebt und bald würde sie ihn heiraten. Wie die beiden sich wohl kennengelernt hatten? Alex beschloss, Peggy bei Gelegenheit danach zu fragen, doch jetzt war wohl der falsche Zeitpunkt, denn er sah sie rasch auf sein Auto zulaufen. Auf dem Arm trug sie ein kleines Mädchen von vielleicht drei oder vier Jahren, das ihr wie aus dem Gesicht geschnitten war! Das musste Emelie sein. Alex stieg aus und sah ihr entgegen. Nun erkannte er auch Peggys ängstlichen Gesichtsausdruck und die notdürftig versorgte Wunde auf Emelies Stirn, unter deren Pflaster das Blut rötlich durchschimmerte.
>>Es scheint nicht viel passiert zu sein, aber ich will trotzdem mit ihr ins Krankenhaus fahren. << sagte Peggy besorgt, während Emelie ein wenig mitgenommen aussah und offenbar auch einige Tränen vergossen hatte. Alex nickte und öffnete die Tür zur Rückbank.
>>Steig ein. Ich bringe euch hin. <<

 

Mühsam und noch ein wenig verschlafen öffnete Mark die Augen. Erleichtert stellte er fest, dass die Kopfschmerzen ein bisschen nachgelassen hatten! Endlich! Der Schlaf hatte geholfen. Wie lange er gedöst hatte wusste er gar nicht, aber es hatte gut getan. Er setzte sich auf und lauschte. In der Wohnung war es still, Peggy schien noch unterwegs zu sein. Vielleicht hatte sie sich ja gemeldet und er hatte es überhört. Doch beim Blick auf sein Handy seufzte er resigniert. Es war aus, der Akku leer, natürlich! Er rappelte sich auf und langte nach dem Ladekabel, das neben ihm auf dem Nachttisch lag und stöpselte es an das Gerät. Das würde nun eine Weile dauern. Mark streckte sich, seine Knochen schmerzten nach wie vor und er konnte nicht recht ausmachen, ob das Hunger oder Übelkeit war, die er im Bauch verspürte. Vielleicht sollte er aber wenigstens eine Kleinigkeit essen, um einigermaßen bei Kräften zu bleiben. Noch ehe er sich auf den Weg in die Küche gemacht hatte, klingelte es an der Haustür und Mark wusste sofort, dass das eigentlich nur Ariane sein konnte. Für einen kurzen Moment überlegte er, einfach nicht aufzumachen. Einfach so tun, als sei niemand daheim. Aber gleichzeitig war ihm klar, dass seine Mutter äußerst hartnäckig war und sicher nicht so einfach aufgeben würde. Dann lieber schnell offenbaren, dass es ihm nicht besonders gut ging und sie so vielleicht wieder zum Gehen überreden.
Doch es kam anders: als Ariane den angeschlagenen Zustand ihres Sohnes erkannt hatte, war sie erst recht davon überzeugt, bleiben zu müssen! Sie schob sich einfach an Mark vorbei in die Wohnung und Mark schloss resigniert die Augen. Diese Frau war eben nicht zu bremsen!
>>Ich komme gut alleine zurecht!<< versuchte er es dennoch. Ariane sah ihn an. >>Alleine? Wieso? Ist Peggy nicht
da? << - >>Die ist unterwegs. << - >>Und hat dich einfach hier deinem Schicksal überlassen? Na, das geht ja gut los! << - >>Mach mal halblang. << erwiderte Mark, als er den missbilligenden Tonfall vernahm. >>Ich bin nicht sterbenskrank. << Dass er sich heute Morgen allerdings so gefühlt hatte, behielt er für sich.  >>Darum geht es nicht. << beharrte Ariane und stellte ihre Tasche im Flur ab. >>Sie macht sich einen schönen Tag und du…?<< Mark bedachte sie mit einem strafenden Blick, schluckte seine aufkommende Wut jedoch hinunter.
>>Sie hat Uni. << - >>Tatsächlich?<< Ariane hob die Augenbrauen und wandte den Blick ab. >>Das sah vorhin aber anders aus. << - >>Was meinst du
damit?<< fragte Mark mit aller Geduld, die er aufbringen konnte. Manchmal konnte seine Mutter einem wirklich den letzten Nerv rauben. >>Bevor ich hier herkam, war ich in der Stadt unterwegs. << erklärte sie. >>Und da hab ich sie gesehen. In einem Schnellimbiss. Mit einem jungen Mann. << Ihre Stimme war mehr als eisig und Mark lief es kalt den Rücken hinunter. Doch dann schüttelte er den Kopf. >>Du musst dich getäuscht haben. << - >>Sicher nicht! Sie hat mit ihm zusammen gesessen und schien sich glänzend mit ihm zu verstehen. Ein hübscher Kerl. Muss ungefähr in ihrem Altern sein. <<
Mark blinzelte und schaute seine Mutter unentschlossen an. Was sollte er dazu sagen? Er war nach wie vor der Überzeugung, dass es sich um eine Verwechslung handelte. Ariane hob die Schultern. >>Glaube mir, oder glaube mir nicht. Aber meine Augen funktionieren noch recht gut. << - >>Selbst wenn es stimmt, << erwiderte Mark ruhig. >>Peggy ist erwachsen! Ich kann und werde ihr sicher nicht vorschreiben, mit wem sie sich triff. << Dennoch beschlich ihn irgendwie ein merkwürdiges Gefühl und unwillkürlich dachte er darüber nach, wer dieser junge Mann gewesen sein könnte. Alexander vielleicht, aber von einer Verabredung hätte sie doch sicher erzählt. Er ließ seine Mutter stehen und nahm im Schlafzimmer sein Handy zur Hand, dessen Akku mittlerweile wieder so weit aufgeladen war, dass sich das Gerät anschalten ließ. Marks Herz schlug schneller, als er die zwei verpassten Anrufe und die Nachrichten sah, die Peggy hinterlassen hatte.

*bin mit Emelie im Krankenhaus. Sie hat sich am Kopf verletzt. Bitte melde dich, wenn du das liest!*

Bei diesen Zeilen überkam ihn blanke Angst! Das klang gar nicht gut!
Hektisch griff er nach dem Autoschlüssel und stürmte wieder auf den Flur hinaus. >>Ich muss los! << erklärte er Ariane nur knapp, die reichlich überrascht aussah. >>Aber du bist krank! Du gehörst ins Bett. Und ich koche dir in der Zeit ein schönes warmes Essen, das stärkt!<< Allein bei dem Gedanken daran wurde Mark schlecht, und er ging nicht weiter darauf ein.
Er öffnete die Haustür und wartete ungeduldig darauf, dass Ariane der stummen Aufforderung zu gehen, endlich nachkommen würde. Sie hatte verstanden und trat mit einem leicht beleidigten Gesichtsausdruck auf die Straße hinaus. >>Bitte. Ich wollte nur helfen. Wohin musst du denn so plötzlich? Peggy chauffieren?<< Auch diese Stichelei ließ Mark unkommentiert. Wenn er verraten würde, was mit Emelie passiert war, würde seine Mutter ihm keinen Meter mehr von der Seite weichen. >>Wir sehen uns. Ich hab es wirklich eilig. << verabschiedete er sich flüchtig, sprang in sein Auto und gab Vollgas!

Am Krankenhaus angekommen lief er schnellen Schrittes in die Eingangshalle und sah sich ein wenig unschlüssig um. Er hatte keine Ahnung, wo Peggy steckte. Mehrmals hatte er sie eben zu erreichen versucht, vergeblich. Instinktiv machte er sich auf den Weg in Richtung Notaufnahme und sollte recht bekommen: hier fand er Peggy ein wenig zusammengesunken im Wartebereich sitzen und bei ihrem Anblick brach es ihm das Herz! Er konnte sich vorstellen, was in ihr vorging. Ihm ging es ähnlich. Sie schaute auf, als er an sie herantrat und fiel ihm um den Hals. Er drückte sie an sich und sie klammerte sich geradezu an ihn, unendlich erleichtert, dass er da war! Sanft schob er sie von sich und streichelte ihr über die blasse Wange. >>Was ist denn passiert?<< - >>Emelie ist beim Spielen im Kindergarten vom Klettergerüst gefallen. << klärte Peggy ihn mit brüchiger Stimme auf. >>Es war nicht hoch, aber sie hat eine Platzwunde am Kopf und ein paar blaue Flecken.
Ich musste einfach sichergehen und sie herbringen. << - >>Und wo ist sie
jetzt?<< - >>Sie wird gerade durchgecheckt. << Peggy deutete mit dem Kopf auf die gegenüberliegende Tür, hinter der die CT und MRT-Räume lagen und die sich schon vor Ewigkeiten fest vor ihr verschlossen hatte. So kam es Peggy jedenfalls vor und sie sehnte den Augenblick herbei, in dem sie ihre Tochter wieder in die Arme schließen könnte! Mark atmete tief durch und gab Peggy einen Kuss, die noch immer leichenblass aussah. >>Ich hab mich so erschrocken. << flüsterte sie und kämpfte mit den Tränen. >>Du hast alles richtig gemacht. << bekräftigte Mark und drückte sie abermals an sich. >>Wie bist du denn hier hergekommen?<<
In diesem Moment trat Alex auf die beiden zu, zwei Kaffeebecher in den Händen. Seine Schritte wurden langsamer, als er Mark erkannte und er blieb beinah zögerlich stehen. Sofort wusste Mark bescheid. Seine Mutter schien sich also doch nicht geirrt zu haben, als sie von dem angeblichen Treffen der beiden berichtet hatte. >>Hi. << begrüßte Alex ihn zuerst und reichte Peggy den kleinen Plastikbecher. >>Alex hat uns hergefahren. << sagte sie an Mark gewandt. >>Wir sind uns zufällig in der Stadt begegnet als der Anruf kam. Ich bin heilfroh, dass er da war, sonst hätte das alles noch länger gedauert. <<
Mark nickte. Er spürte nicht den Hauch von Eifersucht oder Verärgerung darüber, dass Peggy Alex so dankbar anschaute. Sie hatte recht: wenn er nicht gewesen wäre, wären Emelie und Peggy sicher nicht so schnell ins Krankenhaus gekommen.
>>Danke, dass Sie sich gekümmert
haben. << sagte er aufrichtig und schüttelte Alex die Hand, der diese unerwarteten Bekundungen erstaunt, aber gerne zur Kenntnis nahm. >>Kein Problem, wirklich! Hauptsache, die Kleine wird schnell wieder fit. << Da öffnete sich die Tür zur Röntgenabteilung und Emelie kam an der Hand einer Krankenschwester auf die Gruppe zugelaufen. Noch immer wirkte sie ein wenig mitgenommen, doch jetzt, wo das alte Pflaster durch einen sauberen und ordentlichen Verband ersetzt worden war, sah das ganze schon harmloser aus als vorhin!
>>So, da haben Sie Ihren Schatz
wieder. << lächelte die Schwester und Peggy nahm Emelie erleichtert auf ihre Arme.
>>Hat sie sich sehr verletzt?<< fragte Mark besorgt, doch die Ärztin, die hinter der Schwester durch die Tür getreten war konnte Entwarnung geben.
>>Es sah schlimmer aus, als es ist. Die Wunde hat ordentlich geblutet, konnte aber problemlos versorgt werden. Die Aufnahmen vom Kopf haben ebenfalls nichts Auffälliges gezeigt. Ich glaube, sie wird mit dem Schrecken
davonkommen. << - >>Gott sei Dank! << atmete Peggy auf und spürte, wie eine Zentnerlast von ihrem Herzen fiel! >>Und Sie sind sicher, dass sie nicht hierbleiben muss?<< - >>Nein, das ist wirklich nicht nötig. << bekräftigte die Ärztin und lächelte Emelie an. >>Du warst echt tapfer! Ganz toll. << - >>Ja. Tapfer. << krähte Emelie stolz und Mark musste lachen. Dann sprach er der Ärztin ebenfalls seine tiefe Dankbarkeit aus. >>Gern geschehen. Die Schwester bringt Ihnen sofort noch den Arztbrief. Alles Gute! << erwiderte diese und dann war sie schon wieder verschwunden.
Mark nahm Peggy Emelie ab und befühlte vorsichtig das Pflaster auf ihrer Stirn. >>Tut‘ s noch weh?<< - >>Nö!<< antwortete Emelie und klang überzeugend. Alex trat einen Schritt näher und legte Peggy kurz die Hand auf den Arm.
>>Ich würde jetzt abhauen, wenn das Okay für dich ist. << - >>Natürlich. Ich danke dir für alles! << Peggy umarmte ihn zum Abschied und schloss kurz die Augen. Sie mochte sich gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn sie ganz alleine gewesen wäre! Er hatte sich als wahrlich guter Freund erwiesen!
>>Schon gut. << wiegelte Alex ab, als sie sich voneinander gelöst hatte und lächelte sie aufmunternd an. >>Passt auf euch
auf!<< Er nickte Mark flüchtig zu, dann drehte er sich um und marschierte in Richtung Ausgang.

Später saßen Peggy und Mark auf ihrem Balkon, hatten die Füße hochgelegt und sahen in die untergehende Abendsonne. Emelie hockte zwischen ihnen und kritzelte ein buntes Kunstwerk nach dem anderen. Ausnahmsweise hatte sie heute mal ein Schokoladeneis anstelle eines richtigen Abendessens bekommen, obwohl Süßigkeiten ansonsten eher die Ausnahme bleiben sollten. Aber nach der ganzen Aufregung heute wollte Peggy die Kleine einfach verwöhnen und Emelie hatte sich mit einem Strahlen bedankt. Sie wirkte beinah so als wäre nie etwas passiert.
>>Was für ein Tag!<< murmelte Peggy dagegen erschöpft und spürte, wie müde sie geworden war. Mark nickte. >>Das kannst du laut sagen!<< - >>Wie geht's dir eigentlich?<< Besorgt setzte Peggy sich auf und schaute ihn an. Sie überkam beinah ein schlechtes Gewissen, denn über all der Aufregung mit Emelie hatte sie Marks Grippe total vergessen. Doch er wirkte gelassen. >>Seitdem ich deine Nachricht von dem Unfall gelesen habe, habe ich gar nicht mehr darüber nachgedacht, wie es mir geht. <<
Auch er richtete sich ein Stück auf und erwiderte ihren Blick. >>Du kannst dir nicht vorstellen, wie leid mir das tut. << - >>Was?<< - >>Dass du das alleine durchmachen musstest.<< - >>Ich war ja nicht ganz alleine. << korrigierte Peggy ihn. >>Ein Glück. << erwiderte Mark. >>Ich bin Alex wirklich dankbar. Im Übrigen wusste ich bereits, dass ihr euch getroffen habt. << Grinsend genoss er einen Augenblick lang Peggys irritierten Blick. Sie hatte ja noch keine Ahnung von Arianes detektivischen Beobachtungen und ihrer sofortigen Berichterstattung an ihn. >>Ariane war vorhin kurz hier und hat erzählt, dass du mit einem jungen Mann unterwegs bist. << Peggy blieb der Mund offen stehen. Sie musste sich verhört haben! >>Hat sie mich bespitzelt?<< - >>Sie war in der Stadt und hat dich zufällig gesehen. Euch. << verbesserte Mark sich und grinste abermals, als er die verschiedenen Regungen auf Peggys Gesicht sah, die zwischen Fassungslosigkeit, Ärgernis und Schuldbewusstsein schwankten.
>>Und was hast du gesagt?<< wollte sie schließlich ein wenig zögerlich wissen. >>Dass mich das zutiefst verletzt und ich die Beziehung sofort beende!<< Beim Klang seiner vor Ironie triefenden Stimme musste Peggy sich das Lachen verbeißen. Dich sie spielte das Spiel mit und seufzte wehmütig. >>Oh wirklich? Tja, dann kann ich den hier ja abmachen. <<Doch noch bevor sie sich ihren Ring vom Finger streifen konnte, hielt Mark ihre Hand schon fest und sah sie eindringlich an. >>Untersteh dich!<< Er zog sie von ihrem Platz hoch auf seinen Schoß und gab ihr einen langen Kuss. >>Dann ist es also Okay für dich, dass ich Alex getroffen habe?<< harkte Peggy noch einmal nach, denn sie erinnerte sich, wie Mark das letzte Mal auf ihn reagiert hatte. Besonders begeistert war er nicht gewesen und nun war das Treffen auch noch ohne sein Wissen passiert. Andererseits war es nun mal eine ganz spontane Angelegenheit gewesen ... Mark fuhr zärtlich durch ihre Haare und sah ihr in die Augen.
>>Du meinst, ob ich eifersüchtig bin?
Ja, bin ich! Ich bin eifersüchtig auf jeden, der Zeit mit dir verbringt.
Erst recht, wenn das so ein gut aussehender Typ ist, wie Alex!<<
Auch das hatte er sich vorhin eingestehen müssen, als Alex im Krankenhaus aufgetaucht war. Er sah wirklich gut aus, jedenfalls besser als er selbst, denn ans Umziehen hatte Mark keine Gedanken mehr verschwendet und war in seinem Jogginganzug und den alten Chucks losgerast, was ihm in dem Moment herzlich egal war. Doch als Alex ihm dann in seinem weißen Poloshirt und den Designerschuhen entgegengetreten war, war ihm sein eigenes Outfit wieder ins Bewusstsein gekommen.
>>Am liebsten würde ich dich immer bei mir haben. << fuhr er fort. >>24 Stunden am Tag, ganz für mich alleine! Aber noch mehr will ich, dass du glücklich bist! Dass du dein Leben genießt und dich frei fühlst, verstehst du? Und wenn du dich mit Alex oder sonst wem treffen willst, dann tu das. Ich vertraue darauf dass du am Ende des Tages weißt, wo du hingehörst. Zu mir!<<
Je länger er gesprochen hatte, umso mehr spürte Peggy die Tränen in den Augen brennen. Ihr Herz pochte wie wild und sie schaute ihn gerührt an. So etwas Ehrliches und Aufrichtiges hatte sie schon lange nicht mehr von ihm gehört.
Abermals küsste sie ihn auf den Mund, doch Mark drückte sie sanft von sich. >>Du steckst dich an. << - >>Mag
sein. << erwiderte Peggy unbeeindruckt und setzte ihren Kuss fort, sodass Mark keine Chance mehr hatte, sich ihr zu entziehen. Ihre Berührungen waren so heiß, dass sie problemlos ein Feuer hätten entfachen können! >>Ich glaube, Emelie muss dringend ins Bett. << flüsterte er und spürte Peggys Grinsen an seinen Lippen.